Design wechseln

Start » Konzertberichte » Lulu & die Einhornfarm, Terrorgruppe - SO36, Berlin

Lulu & die Einhornfarm, Terrorgruppe - SO36, Berlin

28.05.2014

Weitere Informationen:
https://www.facebook.com/Einhornfarm
http://www.terrorgruppe.com/


Reunions, Comebacks und Great Rock 'n' Roll Swindles gab es in letzter Zeit so viele, dass ich mich nicht einmal wundern würde, wenn Paul McCartney nochmal mit Ringo und Aushilfsmusikern als THE BEATLES touren würde. Ich bin ein Bisschen vorsichtig bei solchen Gelegenheiten, da ich mir manche persönliche Favoriten von damals, die ich als liebste Erinnerungen in mir trage, nicht durch einen schalen Aufguss ruinieren will. Oder Bands, die Platten für die Ewigkeit gemacht haben, dann erst sehen, wenn sie statt eines jugendlichen Feuers die Midlife-Crisis antreibt. Die TERRORGRUPPE hatte immerhin einiges zu verlieren, als sie sich nach fast zehn Jahren wieder auf eine Bühne stellte, und die schnell ausverkauften Tickets deuteten darauf hin, dass hier hohe Erwartungen bei den Fans vorhanden waren. Mit einer Gruppe von Freunden begab ich mich auf das erste zweier Konzerte im SO36, wo ich leider die Vorband LULU UND DIE EINHORNFARM verpasste. Die hatte allerdings auch sehr früh losgelegt, damit die Helden des Abends um Punkt 21 Uhr die Bühne stürmen konnten.

Um es vorwegzunehmen – fast nichts hat sich seit dem letzten Mal geändert, als ich die TERRORGRUPPE live sah. Und das war im Januar 2002, kurz nach dem 11. September, als man mit so einem crazy Bandnahmen noch punkten konnte (fragt mal bei ANTHRAX nach). Aber, Nostalgie beiseite, die haben sich gut gehalten und nicht in den Jahren seitdem fett gesoffen und blöd gekifft. Wenn man sich dann noch im Vergleich bestimmte Musiker ansieht, die wahrscheinlich schon faltig auf die Welt gekommen sind, waren das hier hingegen, wie Sänger Archi verkündete, Menschen mittleren Alters. Das Pubertäre hat man denen ja schon als Teenage-Fan bereitwillig abgekauft, obwohl die Bandmitglieder der TERRORGRUPPE da sicherlich schon mitten in ihrer zweiten Punkrockkarriere waren, also spielt es letztlich keine so große Rolle. Eher von Bedeutung ist vermutlich, dass zumindest die beiden Herrschaften an den Gitarren meines Wissens seit der Bandauflösung weiter intensiv mit Musik zu Gange waren und somit einerseits nicht völlig von ihrer Kunst entfremdet sind und andererseits gut einschätzen können, was cool ist und was eine Blamage wäre.

Und so präsentierte sich die Band gut vorbereitet mit einer Auswahl ihrer Aggropop-Kracher, die so ziemlich alle Schaffensphasen abdeckten. Die Kompositionen sollten jedem Freund des Genres zumindest vertraut sein, ansonsten empfehle ich, anlässlich der Comeback-Tour lautstarke Nachhilfe zu nehmen. Selbst kann ich mit der kreativen Spätphase der Band mangels verklärter Erinnerungen nicht so viel anfangen, aber zum Mitsingen und Feiern laden die Songs fast alle ein. Dazu habe ich den Eindruck, dass Lieder mit allzu überholten Texten ausgelassen oder leicht modernisiert wurden; Josef Ackermann statt Jürgen Möllemann, keine Kellys und kein 'W' Bush mehr (hoffentlich kehren die nicht alle auch auch zurück). Gegen Nazis, Polente und Spießer kann man aber mit Sicherheit auch in 100 Jahren noch singen, dieses Liedgut bleibt auch für die Spätgeborenen unterhaltsam. Gute Laune bei Band und Zuhörern, ausgelassene Ansagen von MC Motherfucker und Johnny Bottrop, und ein Dampfkochtopf vor (und auf) der Bühne. Auch Zip Schlitzer am Bass und, NEU: Kid Katze am Schlagzeug sowie Eros Razorblade an Keyboard und Schellenkranz sorgten für eine zuverlässige Grundlage, auf der sich die beiden Rampensäue austoben konnten. Das bekannte Phänomen, dass Bands ihre Songs live doppelt so schnell spielen, gab es hier nicht, eher wurde im Zweifelsfalle sorgsam auf ein gutes beständiges Oldschool-Punk-Tempo geachtet, bei dem sich die Texte gut verstehen ließen. Ich mag es zwar allgemein noch ein Stück flotter, doch so hat sich wohl der Stil der Band entwickelt, weniger schwarzer Kaffee, mehr Pop. Was soll's, bei den simpel gestrickten und doch treffsicheren Songs konnte jeder gut mitgehen: „Sabine“, „Schöner Strand“, „Gestorben auf dem Weg zur Arbeit,“ „Keiner hilft euch“, „Ich bin ein Punk“, „Mein Skateboard ist wichtiger als Deutschland“... Der Hitkatalog der Band reicht jedenfalls aus, um damit locker einen Abend zu füllen, und entsprechend habe ich am Schluss trotz reichlicher Evergreens noch einzelne persönliche Favoriten vermisst (von den „guilty Pleasures“ ganz abgesehen, die müssen angesichts der beliebteren Songs wohl auf ewig auf CD verstauben).

Von Klang und Optik her war dies ohnehin eine gewohnt professionelle Veranstaltung, der erwähnte Mann an den Tasten ersetzte, da wo es nötig war, Bläsersätze oder machte die Refrains dicker, während im Hintergrund unterhaltsame Foto- und Videoprojektionen das Bühnenbild vervollständigten. Insgesamt ein wirklich schönes Vergnügen, und auch im Publikum fühlte ich eine generelle Verbundenheit ob dieses besonderen Augenblicks, der für mich eben doch etwas von einer Zeitreise hatte (inklusive Crowdsurfing, na was denkt ihr denn?). Einzig eine Zugabe hätte ruhig nochmal sein dürfen, Zeit war allemal vorhanden, und die Menge wurde in vollem Schwung relativ unvermittelt stehengelassen. Hätte ich seit zehn Jahren nicht mehr mit meiner Band gespielt, ich hätte diesen besonderen Moment noch mehr ausgekostet – die Routine kommt schon schnell genug wieder. Da Zip Schlitzer mir nach dem Gig erklärte, das seien einfach alle Songs gewesen, die eingeübt wurden, hätte man das vielleicht irgendwie anders lösen können.

Bis auf das überraschende Ende dennoch ein guter Start in hoffentlich weitere Jahre des musikalischen Terrors, denn dass diese Band in ihrer Glanzzeit den Punk bereichert und auch ein Stück weit mitdefiniert hat, lag nicht zuletzt an ihren gekonnten Auftritten – und davon wird jetzt erst recht bestimmt sein, wie die Rückkehr aufgenommen wird.

Geschrieben von King Kraut am 31.05.2014, 21:47 Uhr


Teilen:                    

Kommentieren