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Terrorgruppe,The Toten Crackhuren im Kofferraum, Radio Havana, Lulu & Die Einhornfarm


Stille Nacht? Vielleicht in Betlehem, für mich ist das nichts. Ich begab mich aber zu der Zeit auf das „Atomtest Weihnachtsfest“ im C-Club, wo ich die Hauptattraktion TERRORGRUPPE schon einmal gesehen hatte. Das damalige Release des Albums „Blechdose“ wird mir immer als ein besonderer Abend in (alkoholisch halbierter) Erinnerung bleiben: Damals zeigte die Polizei rund um das Konzert massiv Präsenz und wollte scheinbar die Party versauen. Irgendwie konnte man aber auch Bullen nicht ernstnehmen, die angetrunkene Teenage-Punker ernstnehmen, und letztlich lief es auf einen halbherzigen Bierflaschenwurf und eine misslungene Blockierung des Eingangs durch den Arm des Gesetzes hinaus. Ein paar Pechvögel wurden angeblich von der Polizei verdonnert, die Glasscherben vor dem Eingang aufzukehren, während die Meute im Saal die Vorband WIZO mit ihrem Song „Kein Gerede“ abfeierte. Eigenartiges Randgeschehen und ein tolles Konzert.

Diesmal kam die Veranstaltung gut ohne solchen Trubel aus, stattdessen kam ich direkt in das beginnende Set von LULU & DIE EINHORNFARM geschneit. Es ging früh los, dies sollte noch ein langer Abend mit vier Bands werden. Lulu kenne ich bereits seit Beginn ihrer Aktivitäten bei THE TOTEN CRACKHUREN IM KOFFERRAUM, wo sie als „Luise Fuckface“ das letzte verbliebene Gründungsmitglied ist. Mit der Einhornfarm hat sie eine Punkband am Start, und ich war gespannt, was das nun hergeben würde. Lulu selbst stand mit ihren zotigen bis idiotischen Texten im Vordergrund. Sie strahlte eine Menge Gelassenheit aus, was vor einem großen Publikum nicht selbstverständlich ist. Eine gute Entertainerin, leider keine Sängerin, und so war dieser Auftritt von der musikalischen Seite her kaum zu ertragen. Über unmelodisch polternde Punklieder die Monoton gerufenen Refrainzeilen über einen bestimmten Pimmel (gut) oder Deutschland (Opfer) zu hören, kann für ein paar Songs noch als aufputschender Trash rocken, einige Songs später war es einfach sehr anstrengend. Da rettet auch der pornographische Weihnachtsmann-Darsteller mit seiner Bühnenshow nichts. Für mich war das nichts, was mich in jenem Augenblick mitreißen konnte, vielleicht geht das mit mehr Promille und in entsprechend krawalliger Stimmung.

Kurze Umbaupause, genau lang genug für wahlweise frische Luft oder frischen Rauch, eh die Wahlberliner von RADIO HAVANA an der Reihe waren. Alle Bands an dem Abend unterschieden sich deutlich in ihrem Stil, was keine Langeweile aufkommen ließ, und bei der zweiten Band gab es eine dicke Ladung politischen Punkrock auf Deutsch. Die Musik orientierte sich erkennbar an amerikanischen Vorbildern, mit viel Melodie und einem Tacken Hardcore. Gelegentliche Exkursionen in Richtung Rock-Ballade waren zwar ganz gelungen, aber nicht so sehr mein Geschmack wie die eingestreuten Thrash-Anleihen. RADIO HAVANA beherrschen ihre Instrumente, ein exaktes Zusammenspiel und gut koordinierte Hintergrundgesänge taten ihr Übriges, um dem vielseitigen Set die nötige Energie beizumischen. Gelegentliche Covers ließen bei allem Pathos auch die Partystimmung nicht zu kurz kommen. Weil ich natürlich gerne meckere, muss ich bemängeln, dass die Band, ganz in schwarz und mit einem unentschlossenen Semi-Iro, eher unspektakulär aussah. Und dass die Show zwar gekonnt, aber letztlich einstudiert wirkte und die Rockstar-Gesten dadurch ihre mitreißende Wirkung einbüßten. Für mich fehlte das gewisse etwas, das diese Band besonders macht gegenüber dutzenden anderen, die genau dieses Genre bedienen. Trotz anderslautender Texte also keine revolutionäre Musik, ein gutes Konzert aber allemal. Zu den kritischen und engagierten Songtexten und Ansagen möchte ich daran erinnern, dass bekanntlich Deutschpunk das CNN der Deutschen ist. Und eben auch wie jener Sender zu Zeiten des World Wide Web völlig ins Hintertreffen geraten ist, wenn ich mich über Politik und Weltgeschehen informieren will. Aber da mich als Jüngling solche Botschaften von Bands durchaus interessierten, mag es sein, dass andere sich mehr dafür begeistern können. Allemal besser, als sich unpolitisch zu geben bei gleichzeitiger rechter Schlagseite. Und die Musik stimmte, das war das wichtigste.

Dann endlich nach Jahren wieder THE TOTEN CRACKHUREN IM KOFFERRAUM. Die habe ich in der Vergangenheit als die punkigste Truppe weit und breit erlebt, in der Art, wie sie mit Freude an der Provokation und Lust an trashigem Pop die Erwartungen mehrerer bisweilen festgefahrener Szenen unterliefen. Seit unserer letzten Begegnung hatten sie sich mal im Hip Hop-Millieu herumgetrieben, mal im Privatfernsehen ein Stückchen Berühmtheit erlangt. Das hatte ich aber alles nur von meinen befreundeten Waschweibern getratscht bekommen und war gespannt auf TCHIK 2014. Die Musik kann man grob im Bermudadreieck von Euro-Dancefloor, Punk und Pop verorten. Dazu kommen dann im Laufe der Show nicht weniger als sechs Tchicas in Partytauglichen Outfits auf die Bühne und tanzen, singen und feiern, als wäre es das letzte Mal. Auch gern als Weihnachtsbaum verkleidet, in your face, „Jungfrau Maria“! Im Hintergrund fügte eine dreiköpfige Basic Punkrock Truppe den digitalen Tracks zusätzliche Power hinzu.
Etwas eigenartiges passierte während des Konzertes. Während ich Anfangs noch das Gefühl hatte, den rheinischen Karneval mit all seiner dümmlichen Fröhlichkeit wieder zu erleben, während ich noch überlegte, was das ganze eigentlich sollte, riss mich die gute Laune, die mir von dieser Wand an aufgedrehten Crackhuren entgegen strahlten, einfach mit. Das ganze war einfach eine riesige Party! Ich werde den Teufel tun, mir diese Musik jemals auf meinem Player reinzuziehen, denn live ist wohl die einzig geeignete Darreichungsform. Der Schlaumeier in mir möchte noch hinzufügen, dass dieser eingängige Pop mit seinen schiefen Gesängen und schweinischen Texten ein vergifteter Apfel ist, dass das unterschiedliche und individuelle Aussehen der TCHIK den zusammengecasteteten und eigenschaftslosen Tanzgruppen im Musikbusiness entgegensteht. Oh, hoppla. Jetzt habe ich es ja geschrieben. Die Essenz bleibt aber: Grenze des guten Geschmacks? Aber Hallo. Punk? Vielleicht. Geile Sause? Aber so was von! Da durften sie mir auch „Last Christmas I Gave You My Heart“ um die Ohren hauen. Prädikat: Wertvoll!

Schließlich war es Zeit für die allseits beliebte TERRORGRUPPE, und das nicht nur, weil sie die letzte verbliebene Band war. Vielmehr fand ich den Abend in seinem Umfang zu lang, da hätten drei Bands auch gereicht. Oder pro Set 15 Minuten Spielzeit weniger, selbst wenn die einzelnen Auftritte für sich genommen nicht langweilten. Entsprechend heiß erwartet wurden also die Headliner des Abends. Dass sie nach wie vor die Hütte rocken können, hatten sie bei ihrem diesjährigen Comeback mit anschließender Tour bewiesen, für mich war daher dieses Mal besonders interessant im Vergleich zum ersten Gig im SO36 im Juni. An der Bühnenpräsenz und der guten Tightness hat sich seitdem nichts geändert, vielmehr merkte man wie so häufig, dass die Reihe gemeinsamer Auftritte der Band wieder die nötige Routine zurückgegeben hat, um so souverän aufzutreten wie zu alten Zeiten. Merkt Euch das, Kinder: Die letzten Konzerte einer Tour sind häufig die besten, weil die Musiker sich monatelang heiß spielen konnten.
Im wesentlichen kann man sagen, dass dieses Konzert ähnlich war wie die Wiedervereinigungs-Gigs, nur in fast jeder Hinsicht besser. Gutes Zusammenspiel, zumeist das gleiche Set, die Rhytmus-Sektion lieferte eine zuverlässige Basis, über der sich dann die beiden Rampensäue an den Gitarren austoben konnten. Tolle Lichtprojektionen im Hintergrund.:Wenn der Bekannte Galgen im Nazi-Flaggen-Design das Bühnengeschehen rahmt, und MC Motherfucker genau da steht, wo der unglücklich hingerichtete baumeln müsste, genießt das Auge ebenso wie bei Kinder- und Jugendbildern der Bandmitglieder. Und mal gegen Filmausschnitte von Leni Riefenstahl anzusingen ist ohnehin der feuchte Traum jedes rebellischen Entertainers. An diesem Punkt fällt mir übrigens auf, dass für mich die Musik der TERRORGRUPPE durchaus eine politische Komponente hat, allerdings anders als (füge handelsübliche Hardcore-Band ein), die verstärkt aktuelle Debatten aufgreifen. Sondern in Form einer Grundhaltung, von der aus dann in bestimmte Richtungen Provokation und Spott ausgeteilt werden. Der Vorteil ist dabei, dass Songs sich allgemein länger halten und auch mal an neuer Aktualität gewinnen können, wenn man sie auf den Spießer-Nazi des Tages bezieht. Umgekehrt bedeuten bestimmte Witzfiguren des öffentlichen Lebens in Songs ein eingebautes Verfallsdatum. Das spiegelte sich in der Songauswahl wieder; Angela Merkel wird nach ihrer Amtszeit bestenfalls mit Helmut Kohl in Richtung Südtirol verbannt, solange aber Deutschland ein Begriff ist, wird es nie so wichtig sein, wie MCs Skateboard. Und Johnny Bottrops Longboard.
Schweife ich ab? In der Tat! Die Terrorgruppe in ihrer neuesten Mutation nutzte verstärkt den fünften Mann an Tasten, Schellenkarnz und Saxofon, um besonders ruhigeren Stücken mehr Fülle zu geben. Bei Dub und Ska kam dies besonders zur Geltung, wenn Eros Razorblade mit der Tröte an den Bühnenrand trat, und die Neuinterpetation von „Arbeit sein muss bleibt“ hat einen mitreißenden Spannungsbogen erhalten. Darf ich in nächster Zeit auf die angedachte Live-Präsentation des „Ultimativen Liebesliedes“ hoffen? Mit der vollen Dröhnung an Hintergrundgesängen?
Bei den schlichteren Punk-Stücken ist ein zusätzliches Instrument hingegen überflüssig, wenn es auch (außer den Puristen) niemanden stört. Insgesamt fand ich bei den Songs das Tempo manchmal ein wenig trantütig. Das ist eine Entwicklung der Terrorgruppe auf den letzten paar Alben gewesen, die sicher ihren Sinn hat, aber letztlich vermisse ich den Temporausch der Mitt-Neunziger, wo die TERRORGRUPPE zwar nicht offensichtlich mit dem Takt aus Kalifornien und Schweden konkurrierte, aber trotzdem um einiges zackiger unterwegs war. An Stücken wie dem „Tresenlied“ merkte man, dass hier die langsamere Spielweise der EP und nicht der Albumversion gewählt wurde. Dagegen wirkten „Gestorben auf dem Weg zur Arbeit“ oder „Ich bin ein Punk“ wie Speed Metal.
Der Sound war recht füllig und meistens gut, das Publikum sang pausenlos mit, dann und wann wurde mir die „Wall of Sound“ von der Bühne her etwas zu dicht, weil man dann kaum noch eine Melodie, geschweige denn Gesang ausmachen konnte. Zum Glück geschah dies nicht zu oft.
Auffällig war, dass die Band entspannt und souverän wirkte, die Ansagen spontan und ungezwungen. Als Johnny Bottrop während technischer Probleme mit MC Motherfuckers Gitarre die Zeit mit improvisierten Sprüchen überbrückte, schien er sich selbst am meisten über die unverhoffte Redezeit und seine ungelenken Witze zu amüsieren. Der Hauptsänger schöpfte aus der Panne neuen Schwung, um dem Publikum seine Aggropop-Partituren vor den Latz zu knallen. Überhaupt wirkte er nicht selten wieder wie ein ungezogener Junge, der eine diebische Freude daran hat, verbotene Dinge zu rufen, und stachelte immer wieder gern das Publikum zu albernen Chören an („Ja, ich fick' mich, ich Fick!“). Das hat mir an dem Abend am meisten gefallen: Es auch dann leicht wirken lassen, wenn man unter dem Erwartungsdruck steht, das Highlight unter dem Weihnachtsbaum zu sein – auch das macht den Profi aus. Und so wurde auch dieses Konzert ein großes Vergnügen. Wer die Terrorgruppe zu früheren Zeiten nicht erleben durfte, kann dies getrost nachholen, denn die Band hat immer noch einiges zu bieten. Nicht zuletzt einen vielseitigen Katalog guter Punk-Hymnen, aber vor allem Spaß an der Sache, der mitreißen kann.

Zufrieden verließen meine Freunde und ich den Saal in Richtung familiärer Harmonie. Eine Zigarrenverkäufer im Eingangsbereich verkaufte in seinem Bauchladen keine Havannas, sondern CDs seiner Band, wie hieß die nochmal? Nette Idee jedenfalls.
Atomtest erfolgreich, jetzt kann der Krieg beginnen. Wenn im neuen Jahr der Rote Knopf gedrückt wird, bin ich gern mit von der Partie.

Geschrieben von King Kraut am 04.01.2015, 13:20 Uhr


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