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Einsturz - Fliegen
Weitere Informationen:
http://www.einsturz.com
http://www.facebook.com/einsturzpunkrock
Wenn ich die alten Archive so durchgucke, fällt mir der 31.01.2015 ins Auge. Ein Zeitpunkt, der den Augenblick datiert, an dem meine letzte Rezension online gegangen ist. Ein komisches Gefühl; und doch sehr schön, da mir ein sehr glücklicher Umstand die Freude zuteilwerden lässt nun doch endlich wieder über eine Band zu schreiben, die mir auf zufälliges Geratewohl ihre neueste Scheibe zuschickte und lieb nach einem Review fragte. Da kann man doch schlecht „Nein“ sagen…
Über die Band „Einsturz“ habe ich bereits schon mal geschrieben und war mir damals vollkommen unbekannt. Umso überraschender, dass ich auf ihrer Homepage Wortkombinationen à la „22 Jahre“ und „6 Alben“ zu lesen bekomme. Wie es scheint, ist diese Band mir im Laufe meiner Laufbahn vollkommen entgangen…umso besser, dass sie mir nun ein weiteres Mal durch den Gehörgang geht!
Denn anfangs war ich trotz guter Ersterfahrungen skeptisch, was meiner Historie geschuldet sein mag. Mit Titeln, wie „Fliegen“, „Krieg“, „Zusammenhalt“ oder „Aufstand“ kündigen sich erfahrungsgemäß „1, 2 ,3, 4“, „Bäh, bäh, bäh, der Staat ist doof, also nehmt Steine in die Hand!“ oder „Für Bier würde ich meine Großmutter verkaufen“-Gesänge an, die durch dumpfbackige (ein schönes Wort, ich weiß!) Musik unterfüttert wird. Doch glücklicherweise gibt sich der Rundling anders, als befürchtet.
Anstatt spröder Parolen bieten „Einsturz“ Geschichten, Umschreibungen oder direkt in des Hörers Kopf gepflanzte Bilder, die eher wie ein Kinobesuch wirken, anstatt eines in ein Musikgewandt gegossenen Gedichtes.
„Komm und schließe deine Augen und träum dich fort von hier / Lass uns fliegen, komm lass uns fliegen gehen“
„Es bewegt sich nichts mehr hinter den Türen, wo die Jugend wohnt / Sie grinsen sich ins Glück, die Augen bleiben leer / Draußen tobt die Willkür, doch sie bleiben verklemmt / Gestriegelt und gekämmt“.
Natürlich handelt es sich bei jeder Zeile nicht um einen literarischen Erguss baudelaire’scher Dimension, doch ich schätze es sehr, wenn alte Themen, aus denen sich der Punkrock schon immer bedient hat, interessant und kunstvoll eingetütet werden. Das macht nicht nur viel Spaß, sondern ändert auch den Blickwinkel, mit dem man sich dem Thema nähert.
So erzählt beispielsweise der Song „Krieg“ nicht „Es herrscht Krieg!“, sondern: „Die Leute flüchten, setzen ihr Leben aufs Spiel, haben Angst, werden kritisch beäugt und nicht willkommen geheißen. Und das, WEIL der Krieg sie vertrieben hat!“. Das mag aus meiner Feder (=Tastatur) jetzt keinen großen Unterschied machen, aber im Kontext und gesamtheitlich betrachtet ist mir eine Erzählung im Märchenformat lieber, als ein Zweizeiler auf einem Wahlplakat, um das Bild greifbarer zu machen.
Besonders hervorheben möchte ich meinen persönlichen Favoriten: „Gestriegelt und gekämmt“. Diesen könnte man zwar leicht als „Typischer Nachruf auf die versaute Jugend“ abstempeln, aber tatsächlich ist es anders herum…und trifft den Nagel damit auf dem Kopf. Hier wird viel mehr darauf aufmerksam gemacht, dass die „Jugend von heute“ angepasst ist wie nie zuvor und eben die sonst so beschimpfte „Versautheit“ vermissen lässt. Ich persönlich teile diese Auffassung ebenfalls…die Jugend bedeutet Rebellion, Aufstand und Respektlosigkeit; ohne dieses gesellschaftliche „schlechte Gewissen“ droht den „Alten“ Stagnation und kopfmäßigen Stillstand. Die Klage mag im Laufe der Jahrhunderte immer wieder hochkommen (und nun sind wir an der Reihe, zu meckern!), aber aus einer anderen Motivation heraus. Aus einer traurigen Motivation heraus. In diesem Sinne: Geiler Song!
Musikalisch gibt es tatsächlich nicht sonderlich viel zu sagen, aber aus den richtigen Gründen. Die fünfköpfige Gruppe weiß schlichtweg ihre Instrumente einzusetzen. Die hauptsächlich im Mid-Tempo gespielten Lieder bieten untereinander eine schöne Abwechslung, sodass kein Song gleich oder ähnlich klingt. So geben sich die musikalischen Stücke abwechslungsreich, sodass jeder einzelne einen eigenen Wiedererkennungswert hat.
Vor allem die Refrains gehen sehr gut ins Ohr und geben einen kleinen Vorgeschmack darauf, was man besonders live erleben könnte: Gesangschöre, in die Luft gereckte Fäuste und durch Trockenheit und Einsatz kratzige Hälse, inmitten einer in Bierdunst geschwängerten Atmosphäre voller Rauch, Schweiß und sonstigen Körperflüssigkeiten. Und dabei habe ich die Jungs noch nicht einmal live gesehen.
Die Strophen hingegen sind sehr solide, kommen aber stimmungsmäßig nicht gegen den bereits erwähnten Refrain an. In diesen kann man sich aber ohnehin mehr auf den Text konzentrieren und später noch durchdrehen.
Alles in allem jedoch gibt sich „Fliegen“ eher temporeich und rockig-verzerrt. Das mag zwar unterm Strich Geschmackssache sein, aber ich hätte gerne noch den einen oder anderen ruhigeren Song gehört.
Ein kleiner Wehrmutstropfen ist auch noch, dass diese Scheibe gerade mal 8 Lieder fasst. Nach fast einer halben Stunde ist der Spaß nämlich schon vorbei. Das mag bei dem spaßigen Durchgang zwar nicht allzu groß ins Gewicht fallen, weil ich lieber 8 gute, als 14 mittelmäßige Songs habe. Trotzdem hätte ich mir persönlich noch ein, zwei weitere Kracher erhofft.
Am Ende freue ich mich jedoch sehr, dass mich diese Zusendung erreicht hat. So macht deutscher (Punk-)Rock Spaß und vor allem eins: Hoffnung. Hoffnung, dass im deutschsprachigen Raum nicht nur auf die ganz Großen geschaut werden muss, sondern auch hier und da Bands rumwuseln, die es wert sind, gehört zu werden.
Die Songs mögen zwar weniger sein (Im Vergleich zur „Deutschland friert“ mit 14 Stücken), sind aber in sich schlüssiger und haben keine wahnsinnig großen Berg- und Talfahrten, sondern wissen durchgehend zu unterhalten, mit minimalischen Schwankungen nach oben und unten. Dadurch wirkt der Silberling dynamisch und in sich geschlossener, weshalb ich mich – im Gegensatz zu früher – doch für 8/10 entschieden habe.
Weitermachen!
Geschrieben von ChaosZx2 am 18.11.2019, 17:46 Uhr
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