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GEWALT

Weitere Informationen:
https://gewalt.bandcamp.com/
Auf GEWALT stieß ich zufällig, als ich an einem Abend in Aachen allein losdackelte und etwas erleben wollte. Auch mal jenseits der üblichen Rockband-Konstellation, und trotzdem laut, überdreht, intensiv. Beim Konzert wurde klar: Das ist keine glattpolierte Standardnummer, und das ist weder ein Hobby, noch ein Business. Besonders beim Sänger Patrick Wagner wurde klar, dass da eine ordentliche Menge roher Emotionen unterm Deckel brodelt, die raus muss.
Praktischerweise bewohnen wir beide Berlin, und so konnten wir uns am Ostkreuz zu einem angeregten Gespräch treffen. Patrick ist ein spannender Interviewpartner, der gern seine Gedanken teilt und sich auch traut, spontan zu Antworten, statt nur vorgefertigte Sätze aus der Promo-Schublade abzuspulen.
Geschrieben von King Kraut Gestern, 22:46 Uhr
GEWALT – Wer seid ihr und was macht ihr für Musik?
GEWALT, das sind aktuell drei Leute: ich, Helen – und eine Bassistin, Sol. In der Geschichte dieser Band waren wir immer zu dritt, immer mit Drum Machine statt Schlagzeuger, weil Proben nicht unsere Lieblingsbeschäftigung ist. Schlagzeuger:innen haben oft ihren Stil, ihren Groove – und dann wird automatisch genau diese Musik gespielt. Das wollen wir nicht. Wir interessieren uns nicht so sehr für Rock, auch wenn die äußere Erscheinung mit zwei Gitarren und Bass was anderes suggeriert. Unsere Einflüsse kommen aus Hip-Hop, Soul, R&B, Techno, Noise, Industrial, experimenteller Musik – nur am Rande aus Rock.
Klar, unsere Konzerte sind auch Rockkonzerte. Aber inhaltlich wollen wir woanders hin. Vielleicht kommt deshalb der Bass bei uns immer von Frauen. Vielleicht, weil Frauen schneller diese radikale Haltung verkörpern können, die es bei GEWALT braucht. Dieses „Mir ist alles egal“, diese Konsequenz, dieses Kim-Gordon-Gefühl. Nicht „cool“, sondern völlig losgelöst vom Gedanken, gefallen zu wollen.
Wie entstehen eure Songs?
Wir proben wenig. Das war von Anfang an so gedacht. Fünfmal proben, fünf Songs schreiben, auftreten – fertig. Wenn wir was Neues machen, dann oft so: Ich schreibe einen Text, baue einen rudimentären Beat, summe was drauf. Dann gehen wir in den Proberaum, schmeißen das zusammen, und wenn es knallt, ist es fertig – oder zumindest fast.
Lieder wandeln sich manchmal. Aktuell denken wir darüber nach, ein altes Stück wiederzubeleben: Guter Junge, Böser Junge. Der Beat geht von Anfang bis Ende durch, das Riff ist fett, aber es groovt nicht. Vielleicht bekommt es einen neuen Beat. Dann macht's mehr Spaß – auch live. Da passiert sowieso oft Ungeplantes. Letztens hatte ich Schulterschmerzen nach 5000 Kilometern Tour – konnte die Gitarre nicht heben, hab eine Pur-Pfeife geraucht (was ich sonst nie mache), war komplett weggetreten. Kein Lied zu Ende gespielt. Hat trotzdem irgendwie funktioniert. Wir mögen, wenn Dinge schief gehen. Ganz oft versuche ich, fast schon absichtlich manche Sachen kaputt zu machen, weil ich ins Publikum reinhüpfe oder whatever mache. Weil das für einen selber spannender ist, gerade wenn man so viel spielt wie wir.
Und das ist Kunst?
Absolut. Neulich war ich im MoMA in New York, und plötzlich wurde mir vieles klar. Ein Mondrian – im Kopf ist der geometrisch, perfekt, durchdacht. In Wirklichkeit ist der wild. Nicht fertig. Man merkt: Der wollte keine Form abliefern, sondern eine Idee. Und genau das fehlt der Musik heute. Alles ist durchformuliert, perfekt produziert, alle Gefühle vorhersehbar getaktet. Aber das ist kein Ausdruck – das ist Produkt. Ich will keine perfekte Gitarre, ich will was fühlen. Ich will die Idee.
Darum ist GEWALT Kunst. Weil wir uns um Inhalt kümmern, nicht um Format. Und wenn wir einen Pulli verkaufen, dann kostet der 70 Euro, weil das Artwork eine Künstlerin gemacht hat, weil das siebenfach gesiebt wurde, nicht digital gedruckt. Weil es so aussieht. Weil man sich fragt: Haben die das selbst gemacht? Nicht, weil’s möglichst professionell sein soll. Punk hat nie funktioniert über „amtlich“.
Aber trotzdem seid ihr auf Instagram, macht Shows, verkauft Merch... Wie geht das zusammen?
Gar nicht. Wir scheitern daran jeden Tag. Und ich schreibe auch darüber. Wir senden, was die Fläche uns diktiert. Früher hast du eine gute Kritik in der Spex bekommen, und plötzlich warst du da. Heute interessiert es niemanden, ob du auf dem Titel vom Rolling Stone bist. Du hast nur noch die Fläche, die du selbst schaffst.
Deshalb plakatiere ich unsere Shows in Berlin selbst. Weil ich dann wieder spüre, was das bedeutet: Musik machen. Dass das Menschen sind, die da hinkommen. Social Media ist da völlig entkoppelt. Zahlen, Algorithmen, Performance – das ist ein krankes Spiel. Wir machen das nur, wenn es was zu sagen gibt. Und wenn es nichts zu sagen gibt, verschwinden wir.
Deine Texte – die sind auffällig direkt. Warum?
Weil ich diesen pseudopoetischen Stil in deutschen Texten nicht mehr ertrage. Viele haben Angst, banal zu klingen, und verstecken sich hinter Bildern. Mir hat mal jemand gesagt: „Du bist am stärksten, wenn du einfach sagst, was du denkst.“ Und das stimmt. Das knallt. Gerade live.
Ein Song wie Deutsch ist so: Ich sage nicht „die bösen Deutschen“, sondern „wir bösen Deutschen“. Ich nehme mich mit rein. Ich bin Teil des Problems, nicht Beobachter oder Richter. Ich bin Täter, nicht nur Opfer. Das ist mir wichtig. Ich sehe die Welt schwarz-schwarz, ich kann mich nicht finden im Wimmelbild – und ich sage das genau so.
Und wenn du sowas wie Felicita schreibst – ist das dann autobiografisch?
Teilweise. Die Szene in der S-Bahn ist so passiert. Diese Frau ohne Zähne, die Felicita singt, das Kind, das fragt, was das ist, und die Mutter, die nicht antwortet. Das war echt. Ich hätte schreiben können, dass ich ausgestiegen bin und geweint habe – das war auch so. Aber das lasse ich weg. Weil der Moment für sich spricht. Und ich mache dann die Brücke auf zur Obdachlosigkeit, zu Berlin, zum Wahnsinn dieser Stadt. Weil alles leer steht, weil es nur um Geld geht.
„Felicita“, das heißt „Glück“.
Ja.
Der Song vermittelt ein Gefühl der Ausweglosigkeit,
Dadurch, dass die Leute nicht fühlen, was mit den Anderen los ist oder dass sie einander nicht verstehen. Glaubst Du, es gibt eine Art, diese Probleme zu überwinden?
Für mich selbst muss ich natürlich einen Umgang damit finden. Ich muss mich schützen, indem ich zum Beispiel das zu Haus verlassen meide, wenn es mir schlecht geht. Ich muss meine eigenen Grenzen respektieren. Unsere Therapeuten sagen das sogar: Meiden Sie öffentliche Verkehrsmittel, gönnen Sie sich etwas anderes.
Gleichzeitig muss man sagen: Dieses Gefühl hat etwas Grundsätzliches. Ich glaube, wir steuern als Gesellschaft auf etwas Vergleichbares wie kurz vor der Französischen Revolution hin. Die Verteilung von Vermögen und Ressourcen ist so aus dem Gleichgewicht geraten, das muss knallen. Ich glaube, das hat etwas mit dieser Algorithmisierung, dieser Verfestigung von Macht und Reichtum in den Händen einiger weniger, einer neuen Elite, zu tun. Dagegen muss etwas passieren. 1789 hat das französische Volk die Verhältnisse umgekehrt. Ich fürchte, etwas anderes wird jetzt gar keine Wirkung mehr haben.
Aber das muss gar kein Rückschritt sein. Ich glaube, wir sind jetzt an einem entscheidenden Punkt. Unsere technischen Mittel sind da, um für Gleichheit und Verteilung zu sorgen. Ein Mausklick könnte das Vermögen umverteilen. So etwas muss daher jetzt ausgefochten werden — das wird allerdings höchstwahrscheinlich kein gewaltfreier Wandel sein.
Zum Teil durfte ich das in Mexiko erleben. Ich kam mit bestimmten Vorstellungen — einer Stadt voller Verbrechen — und wurde eines Besseren belehrt. Ich sah Parks, lebendige Viertel, Menschen, die ihr eigenes Glück gestalten. Und gleichzeitig muss man sagen: der Klimawandel wird dieser Realität den Boden entziehen. Er wird Menschen in die Flucht treiben — weil einige Städte bei 52°C im Sommer unbewohnbar werden. Dieses Szenario muss verhindert werden, weil sonst Verteilungskämpfe ausbrechen.
Aber in dieser scheinbar ausweglosen Lage gibt es etwas, das für mich Sinn und Glück erzeugt: die Kunst. Zusammen mit Helen und Sol etwas aufzuschreiben, aufzutreten, etwas ausdrücken — das bringt Erleichterung und Erleben. Dieses „Glück“, das Felicita beschreibt, hat für mich etwas Utopisches: das Gefühl, für einige Momente etwas anderes aufzuschließen, etwas Wahrheitliches, etwas Lebendiges.
Unsere Konzerte sind kein Fußballstadion, kein Massenritual. Sie sind etwas anderes: Ein kleiner Raum, in dem etwas geschieht — bei den Menschen, bei uns — das etwas verändern kann. Ich spüre das, wenn ich spiele, wenn das Publikum aufmerksam ist, etwas mitfühlt. Ich spüre, dass etwas in Bewegung gerät, bei den Menschen ebenso wie bei mir. Dieses Erleben, dieser Kontakt, dieser Sinn — das ist auch auf jeden Fall Glück. Manchmal hat die Band auch die Kraft, Dinge zu verändern. Das merke ich auch, dass man eingreift in das Leben. Manchmal auch heftig, aber meistens echt gut. So, dass Leuten so ein Licht aufgeht, sie sich freistrampeln aus alten Gedanken. Das ist Feedback, das wir kriegen, was echt schön ist. All das ist Anleitung zum Glück.
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