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NORMAHL

29.04.2011

Am 29.04.2011, ein Tag bevor die Walpurgisnacht in Berlin im Mauerpark und anderswo begangen, und andere in den Mai feierten, war die Deutschpunkband NORMAHL zu Gast im Tommy-Haus in Berlin.

Für mich als Jemand der mit NORMAHL sozialisiert wurde, war Hingehen natürlich Pflicht.

Sänger Lars hatte sich im Vorfeld zu einem Interview bereit erklärt hatte, was mich besonders gefreut hat und so wurde es in angenehmer Atmosphäre im Backstageraum eine längere Unterhaltung die mein Diktiergerät an die Grenzen des Aufnahmespeichers brachte.


Geschrieben von Frank am 30.04.2011, 00:00 Uhr


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F:         Ihr spielt ja heute im Tommy-Haus, einem ehemaligen besetzten Haus. Verbindet euch etwas Besonderes mit dem Haus bzw. mit der Besetzerszene?

L:         Als wir das erste Mal in Berlin gespielt haben, das war 1981 im S.O. 36, gehe ich davon aus, dass viele im Publikum aus der Hausbesetzerszene kamen.

            Wir haben auch früher viel in besetzten Häusern gespielt, z.B. in der Hafenstraße in Hamburg. Da verbindet uns schon etwas und die haben ja Recht gehabt, mit dem was sie getan haben.

            Im Tommy Haus haben wir allerdings noch nie gespielt. Ist das erste Mal hier für uns.

F:         Wie steht Ihr generell zu der Hausbesetzerszene? Vieles ist ja heute nicht mehr möglich, was früher möglich war.

L:         Ich muss sagen, dass ich da nicht mehr so drin bin, dass ich das beurteilen kann. Bei uns im Süden gibt es das ja eigentlich nicht mehr. In Stuttgart selbst gibt es eigentlich keine besetzten Häuser mehr.

In unserer Jugend haben wir mal ein ehemaliges Jugendzentrum besetzt. Das hat ein paar Wochen gehalten, aber ganz ehrlich, ich bin da jetzt nicht mehr drin. Ich weiß auch nicht, ob diese Aktionen heutzutage schon überholt sind. Es steht ja, in Berlin zumindest, einigermaßen bezahlbarer Wohnraum zu Verfügung.

Ich maße mir nicht an, einzuschätzen, ob das heute noch so akut ist, wie es in

den ´70er und ´80er Jahren war.

F:         Früher ging es vielleicht um bezahlbaren Wohnraum, heute geht es in meinen Augen mehr um Freiräume für die Subkultur. Um Plätze wo man sich treffen kann. Siehst du da genug Freiräume?

L:         Freiraum kann es nicht genug geben! Freiraum muss überall vorhanden sein, in der Musik, im Alltag eben überall. Ich glaube, dass der Freiraum den man braucht, heute bestimmt weniger geworden ist. Ich möchte heute nicht mehr 15 oder 16 sein. Ich möchte nicht so wenig Freiraum haben, wie ein 15 oder 16jähriger heute. Das liegt aber nicht nur an dem Angebot was da ist, sondern eben auch am Denken, was viele einfach nicht mehr haben. Viele haben “Freiheit“ nicht mehr als Grundidee. Für die bedeutet Freiheit, sich ein IPad kaufen zu können oder ein Auto um von A nach B zu kommen. Das ist aber nicht die Freiheit um die es damals ging, um die man gekämpft hat und die immer weniger wird. Freiheit an sich wird ja immer mehr eingeschränkt.

F:         Ihr habt ja jetzt den Film “Jongr“ raus gebracht, der ja auch ein bisschen autobiographisch ist. Warum habt Ihr diesen Film gemacht?

L:         Wir wollten einfach mal etwas ganz anderes machen, als nur eine neue CD raus bringen. Das kennt man, das können wir und das wäre auch kein Problem gewesen, das zu machen. Wir haben uns aber gesagt “Wir müssen mal was ganz anderes probieren“. Wir hatten ursprünglich den Gedanken einer Punkrevue. Wir wollten eine Punkrevue machen, also eine Revue mit alten Punknummern von Bands, die uns in unserer Jugend inspiriert hatten. Das hätten wir auch gespielt, das wäre auch kein Problem gewesen. Dann ging es aber darum, um diese Songs eine Handlung zu bauen, auch das wäre nicht das Problem gewesen. Wir hatten schon eine Art Drehbuch um das zu machen, aber dann ging es um die reale Umsetzung. Da hätten wir losziehen müssen mit der Intention, dass wir das live aufführen wollen. Da hätten wir 4-5 Schauspieler mitnehmen müssen, fahrbare Kulissen, die ja auch erst gebaut werden müssen, und dann wären wir bei zwei Trucks gewesen, mit denen wir durch Deutschland gefahren wären und vor 50 zahlenden Zuschauern gespielt hätten. Das hätte vom Finanziellen einfach nicht funktioniert. 

Eigentlich hätte der Film vom Finanziellen her auch nicht funktioniert. Wir haben uns den Arsch abgespielt, damit wir den Film irgendwie finanziert bekommen. Durch Zufall hat der Manne ( Basser von Normahl ) eine ehemalige Mitschülerin von ihm getroffen, die heute Filme macht, und dann haben wir uns gesagt “Dann lass eben ein Film drüber machen“. Der Film war vom Konzept her so gemacht, dass er in der Zeit vom Tod von Elvis Presley bis in die Zeit vom Tod von Sid Vicous, also in einem engen Zeitrahmen von ungefähr 1 ½ Jahren, sozusagen in unserer Jugend von 1978 bis 1979 spielt.

F:         Ging es euch in erster Linie darum zu zeigen, wie es in der Zeit auf dem Land als Rebell war, oder hat sich das so ergeben?

L:         Natürlich ging es darum die eigene Jugend in dem Film rüberzubringen. Es gibt natürlich auch schon Filme wie “Dorfpunks“, aber das was wir darlegen wollten ist, wie die Freiheit so auszusehen, wie wir aussehen wollten und das zu machen, was mir machen wollten, tatsächlich war. Diese Freiheit musste man sich damals erkämpfen. Das soll der Film rüberbringen, diesen Kampf.

Heute ist es das genaue Gegenteil. Heute interessiert es niemanden mehr wie man rum läuft. Heute hat man nur noch zu funktionieren.

Es war natürlich eine ganz andere Zeit. Unsere Eltern waren mit Sicherheit ganz anders als wir, die wir heute vielleicht selber Eltern sind.

F:         Meinst du, dass die Leute, die Bevölkerung, generell offener geworden ist?

L:         Natürlich! Es ist doch so, dass die ältere Bevölkerung heute in unserem Alter ist und natürlich sind die anders als unsere Eltern. Es gibt aber natürlich genauso viele, die damals nicht rebelliert haben, und sich mit 18 in eine Kneipe gesetzt und gesagt haben “Ich leb so, wie meine Alten gelebt haben“ und das auch durchziehen.

Ich werde oft gefragt, ob uns das Rebellieren und unser (Band-)Leben so wie wir es gelebt haben, etwas gebracht hat. Denen antworte ich immer, dass es genau das gebracht hat, dass ich mich nicht in irgendeine Kneipe setze und den gleichen Scheiß rede, den mein Vater damals geredet hat.

F:         In eurem Song “Deutsche Waffen“ besingt Ihr ja auch die Waffenexporte von Deutschland. In Süddeutschland sind ja einige große Waffenhersteller die auch viel exportieren. Wie geht die lokale Bevölkerung damit um? Wie geht Ihr damit um?

L:         Es ist bekannt, dass Daimler kein unbeschriebenes Blatt ist oder Heckler & Koch, die ja bei uns fast um die Ecke sind. Es ist so, dass die meisten Leute das nicht richtig kapieren, um was es eigentlich geht. Es wird ja immer erst interessant, wenn man näher an die ganze Geschichte rankommt, wie z.B. jetzt in Libyen, wo die Jungs sich gegenseitig mit deutschen Waffen erschießen. Dann, ganz punktuell, denken vielleicht einige die in solchen Firmen arbeiten, auch darüber nach. Ich glaube aber, dass sich der Großteil der Leute wenig Gedanken macht.

In meinen Augen werden die richtigen Friedensaktivisten, die richtigen überzeugten Pazifisten in Deutschland immer weniger. Das sieht man auch dadurch, dass die meisten Menschen die Auslandseinsätze der Bundeswehr vollkommen tolerieren. Das politische Bewusstsein ist schwächer geworden.

F:         Wie steht Ihr zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr?

L:         Für mich braucht das nicht sein. Ich hab eine ganz klare Meinung und die lautet, dass es eine deutsche Armee nirgendwo auf der Welt braucht.

F:         Ihr habt auf eurem aktuellem Album mit dem Song “Friss oder stirb“, wie auch in der Vergangenheit immer wieder sehr plakative Songs gegen Deutschland geschrieben.

L:         Das sind keine Songs gegen Deutschland.

F:         Verstehen kann man das schon so.

L:         Man muss unterscheiden zwischen einem Land das eine gewisse Regierung bzw. ein gewisses System darstellt und einem Land das nach wie vor meine Heimat ist, dessen Sprache ich spreche und dessen Natur ich durchaus liebe. Ich schätze auch gewisse Lebensarten in Deutschland und das was man in diesem Land hat. Es ist nicht so, dass ich Deutschland als Land ablehne. Das trifft nicht zu.

Es geht darum, dass das System welches hier seit 200 oder mehr Jahren immer dasselbe ist, in meinen Augen nicht in Ordnung ist. Ich bin kein Deutschland-Hasser!

F:         Ich denke aber, dass mit Aussagen die ihr getroffen habt, die Leute das so verstehen können, und dann der Meinung sind, dass die, denen es hier nicht gefällt wegziehen sollten.

L:         Wohin den? Es gibt doch keine DDR mehr.

 

F:         Wenn ich eure Songs die in die Kerbe rein schlagen sehe, dann denke ich, dass sich nichts geändert hat.

L:         Klar, aber das sind alles Songs gegen das System. Deutschland ist ein Land, wie jedes andere auch, auf der Welt. Ich muss mit diesem Land leben. Ich hab keine Lust z.B. nach Frankreich zu ziehen, und da die ganze Scheiße auch wieder mit zu machen. Ich bin der Meinung, dass sich das System ändern muss.

F:         Du hast die DDR angesprochen…

L:         …das war als Spaß gemeint, weil früher, wenn wir in einer Kneipe gesessen sind, immer anhören durften “Wenn es euch hier nicht passt, dann geht doch nach drüben“.

F:         In meinen Augen hat die Bevölkerung in Baden-Württemberg wenig Berührungspunkte mit der DDR gehabt, und kennt diese eher aus Legenden und ausgeschmückten Erzählungen. Wie siehst du das?

L:         Das sehe ich genauso, aber wer soll es denn noch wissen?

Wir als Band haben schon in den´80er Jahren in Ungarn gespielt. Ich kann mich an ein Konzert in einer großen Halle mit ungefähr 1.000 Leuten erinnern. Wir hatten gedacht, wir spielen da eben, aber das geht an den Leuten vorbei. Wir als Deutschpunkband interessieren doch niemanden. Als wir dann gespielt haben, haben alle mitgesungen! Wir haben erst nach dem Konzert geschnallt, als wir mit ein paar Konzertbesuchern gesprochen hatten, dass die Leute die da waren, alle aus der DDR kamen. Die sind nach Ungarn gefahren, da durften sie ja hinfahren, um sich NORMAHL anzuschauen.

Wir waren auch damals eine der ersten Bands die noch in der existierenden DDR gespielt haben. Also mit Grenze und allem.

F:         Ihr habt dann sicher in einer Kirche gespielt?

L:         Nein, das war in einem Kalibergwerk

Wir waren damals gerade auf Tour. Wir waren seinerzeit gerade in Aachen und hatten zwei Tage frei. Da kam dann die Meldung dass im Osten die Revolution gerade angefangen hat und dann kam von einer Bookingagentur die Anfrage ob wir nicht rüber fahren wollen. Das haben wir dann gemacht und somit einige Konzerte in der noch existenten DDR gespielt. Wir konnten uns dadurch noch vor dem Zusammenbruch ein Bild von der DDR machen.

Für die jüngere Generation oder die Leute aus dem Westen die dort nie waren, ist das so eine vergangene Vorstellung die genauso real oder unreal ist, wie damals die Generation die nach dem dritten Reich aufgewachsen ist und den Krieg nicht mitgemacht hat. Ich glaube sogar, dass viele junge Leute heute gar nicht mehr wissen, was die DDR war.

Für uns war es schon während der Grenze immer sehr interessant, wenn wir nach Berlin gefahren sind. Da ist man ja auf der Transitstrecke durch das Staatsgebiet der DDR gefahren ohne das Land groß kennen zulernen.  Auch die Grenzkontrollen und alles, das war ja auch immer ein Theater und sehr aufregend. Das einzige was die nie kontrolliert haben war, ob man besoffen war.

Was man von der DDR mitbekam war ja auch nur das was man durch das Propagandafernsehen bei uns gesehen hat, und drüben war es doch genauso.

F:         Ihr ward früher auch viel im Fadenkreuz des Staatsschutzes. Hat sich das mittlerweile beruhigt, oder seid Ihr immer noch im Visier?

L:         Die Staatsschutzaktionen sind heute subtiler geworden.

Ich hatte vor 4 oder 5 Jahren mal eine willkürliche Hausdurchsuchung aus absolut fadenscheinigen Gründen. Meine Unterlagen und mein Rechner waren dann monatelang weg. Ich konnte nicht mehr darauf zugreifen. Als ich dann mal nachgefragt hab, wo die liegen, bekam ich als Auskunft die wären bei der Staatsanwaltschaft I in Stuttgart. Das ist die Staatsanwaltschaft die dafür bekannt ist, sich um Staatsschutz - Angelegenheiten zu kümmern. Die haben sich damals auch um die R.A.F. gekümmert.

Es ist heute nicht mehr so, dass Platten beschlagnahmt werden. Wir hatten auch Anzeigen bekommen, wegen dem “Öffentlichen Aufruf zu Straftaten“. Es geht heute viel subtiler und gemeiner zu als früher. Da gibt es Methoden, die die wahrscheinlich von der damaligen DDR übernommen haben. Die versuchen die Leute in ihrem Alltag zu treffen. Die versuchen mit Bußgeldern an dein Geld zu kommen und legen dir immer wieder Steine in den Weg, die man dann eben wegräumen muss.

F:         Wie kann man damit umgehen? Was würdest du Leuten raten, die solche Probleme haben?

L:         Man muss stehen bleiben!

Was ich immer etwas lächerlich finde, ist die NPD. Die Hälfte der Partei besteht aus Leuten vom Verfassungsschutz, was auch bedeutet, dass der Verfassungsschutz in gewisser Weise diese Partei finanziert. Gegen solche Leute muss man einfach stehen bleiben. Man muss auch im Großen und Ganzen einfach mal sagen, wie lächerlich der “Verfassungsschutz“ ist. Was will den dieser Verein? Deren Verfassung, die die schützen wollen, wird doch Tag für Tag von ihnen selbst gebrochen oder von irgendwelchen Leuten im Bundestag.

Insofern muss man das auch mal nach draußen transportieren, und die entsprechend behandeln.

F:         Wenn wir gerade beim Verfassungsschutz sind, ist die Kirche auch nicht weit, die Ihr ja auch mit schöner Regelmäßigkeit kritisiert. Da habt Ihr euch in Baden-Württemberg sicher auch viele Feinde gemacht, oder?

L:         Die Zeit hat einem ja durchaus Recht gegeben. Wenn man heute den Umgang der katholischen Kirche zu ihren Missbrauchsopfern anschaut, hatten wir ja durchaus Recht mit dem was wir gesagt haben, dass die ein verlogener Haufen und von ihrer Wahrhaftigkeit weit entfernt sind. Ich bin keiner der sagt, dass die Kirche an sich ein totaler Scheiß ist. Wenn da jemand wirklich dran glaubt und das auch durchziehen will, ist es vielleicht auch berechtigt, dass jemand Pfarrer werden will, aber die Verlogenheit die wir angesprochen haben, die hat ja durchaus stattgefunden. Wir haben ja gewusst von was wir reden. Als das alles raus gekommen ist, konnte man tatsächlich sagen “O.k., Normahl hatte Recht“.

F:         Lacht Ihr euch dann ins Fäustchen und freut euch?

L:         Für die Missbrauchsopfer ist das mit Sicherheit nicht schön gewesen, dass es tatsächlich passiert ist, auch die arbeitslagerähnlichen Zustände die dort lange geherrscht haben, waren mit Sicherheit nicht schön. Das sind Sachen die gemacht worden sind, vor vielleicht 20 Jahren die von einem totalitärem Staat nicht weit weg waren.

Meine persönliche Meinung ist, die Kirche komplett vom Staat abzutrennen. Dies ist für Deutschland der einzig richtige Weg. Dann würden vielleicht auch einige Leute überlegen ob man wieder eintritt, wenn da eine komplette Aufarbeitung stattfindet und nicht nur Gelder gezahlt werden, damit geschwiegen wird.

F:         Auf den letzten Alben habt Ihr mit Songs wie “Der letzte Cowboy“, “Schneestürme“

oder “Sonne im Dezember“ auch traurige, melancholische und träumerische Songs. Wie kam es dazu, dass Ihr diese Lieder gemacht habt?

L:         Wir haben solche Songs ja schon immer irgendwie gemacht. Ganz am Anfang vielleicht nicht, da waren wir schon rein Punk, aber Songs wie “Geh wie ein Tiger“ oder “Blumen im Müll“ sind ähnlich. Solche Songs dürfen im Punk durchaus sein. Mike Ness von Social Distortion hat vor kurzem gesagt “Punk ist die Musik der Freiheit“. Uns hat man früher immer gescholten für den Song “Hans im Glück“. Der Song wäre ja eine richtige Rocknummer. Und heute gefällt es den Leuten, wenn wir das Lied live spielen, geht es immer gut ab. “Hans im Glück“ ist ein Punksong, vielleicht nicht vom Rhythmus aber von der Aussage und vom Text.

F:         Habt Ihr euch Gedanken darüber gemacht, dass solche Songs vielleicht auch mal peinlich rüberkommen könnten?

L:         Nein, wobei wir uns da natürlich auch hinterfragen. Wir wollen in unserem Alter keine Geschichten erzählen, die 15 oder 16jährige ansprechen sollen. Das würde keinen Sinn machen. Wenn du Texte schreibst, sollen die ja auch ernst genommen werden. Eine gewisse Ernsthaftigkeit gehört auch zum Punk dazu.

            Beim Schreiben neuer Songs ist das durchaus auch schwierig, denn wir machen uns schon Gedanken, was 15 oder 16jährige denken, die auf unsere Konzerte kommen.

            Wenn wir totalen Stuss erzählen würden, wie es einige Deutschpunkbands machen die in dem Alter sind und wo es auch passt, ist es was anderes.

Wir haben 1980 Songs geschrieben, die spielen wir heute noch, aber die spielen wir mit der Einstellung, dass man darüber lachen kann. Das sind nach wie vor geile Songs, aber muss man dass in einem Alter um die 50 rum, mit aller Energie noch so sehen? Wir stehen da auch gern mal über den Dingen, und erzählen den Leuten, dass Punk mehr ist, als mit einem Iro rum zu laufen. Punk ist eine Lebenseinstellung.

F:         Ihr würdet es gut finden, wenn die anderen von eurer Lebenserfahrung profitieren können?

L:         Klar. Es gibt ja unheimlich viele Leute die in unserem Alter noch versuchen ihr Leben einigermaßen selbst bestimmt zu leben. Das kann man durchaus! Man muss nicht mit 15 oder 16 Punk sein, und mit 20 an die Familienplanung denken. Das muss man nicht unbedingt. Man kann das durchaus miteinander verbinden. Man muss nicht Spießer werden, nur weil man 20 geworden ist.

F:         Ist das für euch manchmal schwierig vor jungem Publikum zu spielen?

L:         Davor hab ich noch nie Angst gehabt, weil Punk immer eine Jugendbewegung war. Punk hat immer Nachwuchs gehabt. Der Nachwuchs lebt natürlich auch von Nachwuchsbands, von jungen Bands die einen mitreißen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand Punk wird, weil er eine Platte von Normahl hört.

            Wir sind mit der Punkszene groß geworden. Wir gehören auch nach wie vor zu dieser Szene. Die Bewegung nach vorne bringen können meiner Meinung nach Bands wie Normahl oder die Toten Hosen nicht. Die Bewegung nach vorne bringen können Bands aus der Generation in der Punk entsteht. Da möchte ich dann auch eher ansetzen, weil das tausendste Lied über Bullen zu schreiben ist nichts Neues.

            Es gibt heutzutage ganz andere Probleme, als die, die wir 1980 hatten.

F:         Das Gefühl hab ich auch. Ich finde, dass es bei den Songs von früher eher um die freie Entfaltung ging und heute geht es mehr um das Überleben an sich.

L:         Das kann man aber auch ruhig mal in einen lyrischen Text verpacken. Das kann man der Punkbewegung auch mal sagen, dass man auch mal an die Kunst denken soll.

            Die Leute sind wesentlich intelligenter als man denkt. Natürlich gibt es auch Dumpfbacken, die Songs wie “Deutsche Waffen“ überhaupt nicht verstehen, aber ich glaube, dass die Mehrzahl die Ironie dahinter schon versteht. Wir spielen den Song ja auch heute noch, weil er immer noch aktuell ist. Solche Nummern sind zeitlos.

            Songs wie “Rainer Anton Fritz“ spielen wir heute nicht mehr, dass braucht einfach keiner mehr.

F:         Wie steht Ihr zur RAF? Hat der Kampf der RAF was gebracht, in euren Augen?

L:         Es war ja eine Konsequenz. Es musste sein, obwohl man der RAF jetzt auch vorwirft, dass durch deren Aktionen der Überwachungsstaat erst richtig in Gang kam und entstanden ist. Der Überwachungsstaat war vor der RAF schon da. Er wurde nahtlos von den Nazis übernommen. Insofern hat das natürlich was bewegt. Es kamen Diskussionen in Gang, die ohne die RAF nie die schwäbische Provinz erreicht hätten.

            Durch die RAF kam die Diskussion über Themen wie “Wofür leben wir“, “Wer bestimmt uns?“, “Für wen gehen wir jeden Tag arbeiten?“, “Ist das wirklich alles in Ordnung, so wie es hier läuft?“  überhaupt in Gang. Ich glaube schon, dass diese Diskussionen einiges in den Köpfen bewegt hat. Solche Diskussionen wären doch nie aus elitären Zirkeln herausgekommen, ohne die RAF.

            An einem Stammtisch in einer schwäbischen Kleinstadt hätte sich keiner solche Gedanken gemacht, wenn da nicht so was wie die RAF gewesen wäre.

            Man darf uns Schwaben allerdings auch nicht für dumm verkaufen, wir haben jetzt eine Grün-Rote Regierung! Und das nach 50 Jahren CDU!

            Man sieht schon, dass sich da was getan hat. Es hat sich eine ganz neue Generation nach vorne gesetzt, auch wenn der Kretzschmar ( jetziger Ministerpräsident der Grünen ) nicht aus der Generation kommt, aber die Leute haben so gewählt. Die Menschen reagieren heute ganz anders, wenn man Atomkraft anspricht, als vor fünfzehn oder zwanzig Jahren. Das hat auch mit der Erfahrung zu tun, die man damit gemacht hat. Früher hat man sich gewundert, warum in den Gegenden der Atomkraftwerke im Südwesten, mehr Leute als normal an Leukämie sterben. Damals war irgendwie die Einstellung, dass das so sein muss. Die heutige Bewegung hat da ein Umdenken geschaffen.

            Es geht ja mittlerweile auch um die Effizienz. Man muss z.B. nicht mit Strom heizen. Es gibt auch andere Sachen mit denen man heizen kann.

            Insgesamt hat das schon viel gebracht, wobei scheiße ist, dass es das Ganze mittlerweile auch wieder institutionalisiert.

            Man muss auch ganz klar sehen, die meisten Leute der RAF kamen aus der schwäbischen Provinz. Es ist also nicht so, dass die Schwaben ein totaler Deppenhaufen sind oder waren. Die RAF hat was bewegt und insofern hat es auch was gebracht.

F:         Gerade auf den älteren Scheiben von euch kommt es mir so vor, als ob Ihr auch viel Sympathie für die RAF hattet.

L:         Das hatten wir auch, natürlich! Punk ist aber natürlich auch Provokation. Punk funktioniert nur so. Ob das dann in letzter Konsequenz von allen so ausgelebt worden wäre, und ob das richtig gewesen wäre, wenn jeder eine Waffe in die Hand genommen und um sich geschossen hätte, das steht auf einem ganz anderen Blatt Papier. Von der Musik her haben wir natürlich mit der RAF sympathisiert. Das haben wir auch ganz bewusst gemacht um einfach die ganzen Stammtischbrüder mal rauszuholen. Das war aber nicht nur die RAF, sondern auch Songs wie “Fahneneid“. Für den Song wollten sie uns schon 1980 beim Stadtfest in Winnenden von der Reservistenvereinigung…

            …da gab es Leute die sagten “Gib mir eine Knarre. Ich knall die Arschlöcher ab“. Die waren alleine nur provoziert durch diesen Text. Auch in diesem Bereich tut sich etwas.

            Es würde heute keiner mehr auf die Idee kommen so etwas zu sagen.

F:         Wie sind die Pläne für die Zukunft von NORMAHL?

L:         Wir spielen dieses Jahr ein paar unplugged Konzerte Zu diesen Gigs kamen wir, wie die Jungfrau zum Kind. In Berlin haben wir das erste unplugged Konzert gespielt, auf Einladung des Hardrock - Cafe. Die haben eine Pressekonferenz organisiert für unseren Film “Jongr“, als wir den fertig im Kasten hatten. Auf der Pressekonferenz haben dann die anwesenden Journalisten gesagt “Wenn Ihr schon mal hier seid, dann spielt doch auch mal was“. Da gab es zwar keine Anlage aber wir haben gesagt “O.k., dann spielen wir eben was“. Die hatten dann die Instrumente organisiert und dann haben wir da einfach ein paar Songs von uns gespielt. Das machte natürlich schon Eindruck, weil viele nur Normahl - Songs kannten, die voll auf die Nuss gehen, und dann kam da auf einmal raus, dass das was wir machen durchaus auch mehr sein kann.

            Dann wurden wir darauf hin gefragt, ob wir nicht unplugged Konzerte in Kinos zur Aufführung des Films “Jongr“ spielen könnten.  So hat sich das ergeben.

            Mittlerweile gibt es sogar Leute die uns fragen, wann die Platte mit den unplugged Songs rauskommt.

            Wer Interesse hat, den Film “Jongr“ aufzuführen, kann sich jederzeit gerne an mich wenden. In Berlin wurde der z.B. noch nicht gezeigt. Da kann man schön was basteln mit einem Gig auf der Hin - oder Rückfahrt. Das ist auch bisher immer ein geiler Abend gewesen. Das passt sehr gut zusammen. Erst der Film und dann das unplugged Konzert, das passt gut, ist aber natürlich was ganz anderes als ein Punkkonzert. Es ist eine andere Stimmung, aber es ist eine richtig geile Stimmung. Wir haben das selbst in großen Clubs gemacht, wie dem LKA in Stuttgart oder dem Backstage in München. Es ist bisher auch immer sehr gutes Publikum da gewesen. Das Publikum reagiert ganz anders als auf einem Punkkonzert. Das ist bei uns auch noch voll im Fokus, den wir wollen den Film natürlich promoten.

            Ja, und dann war der Speicher meines Diktiergerätes erschöpft. Lars und ich unterhielten uns trotzdem noch eine gute halbe Stunde weiter, in angenehmer Atmosphäre im Backstage des Tommy-Hauses.

            Das Konzert von NORMAHL war an diesem Abend selbstredend großartig.

Der Bericht des Konzertes ist auch bei ramtatta.de zu finden unter:

http://www.ramtatta.de/konzertberichte,id-96.html

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