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TOXPACK

Nachdem die Berliner von TOXPACK ihr neues Album “Bastarde von Morgen“ veröffentlicht hatten, musste ich nicht lange gefragt werden, ob ich Lust auf ein Interview mit der Band habe.
TOXPACK gibt es jetzt seit 10 Jahren. Ihre Bandgeschichte dürfte einige Buchseiten füllen und die Einschätzungen von außen wo die Band steht, stehen sollte oder eben nicht steht, hat sicher schon einigen Speicher im Netz für sich beansprucht.
TOXPACK waren (und sind vielleicht immer noch) kontrovers, streitbar und haben jedes Jahr immer mehr Fans gewonnen. Die Entwicklung der Band konnte man bisher immer gut an den Alben festmachen, so auch mit “Bastarde von Morgen“.
Fragen hierzu und alles weitere was sich bei einer leckeren Flasche Wein noch so alles mit Hinni, dem Drummer der Band, ergeben hat, gibt es hier zu lesen.
Geschrieben von Frank am 11.09.2011, 00:00 Uhr
F: Herzlichen Glückwunsch zum neuen Album. Der Titel heißt “Bastarde von Morgen“. Inwieweit seht Ihr euch als Bastarde von Morgen?
H: Da fängst du gleich mit einer guten Frage an. Der Text des Songs ist anscheinend schon ein paar Mal missverstanden worden, weil viele Leute sich nur den Refrain anhören und nicht die Strophen. In dem Song geht es darum, dass die Gesellschaft auf Leute wie uns zeigt nur weil wir anders aussehen oder aus anderen nichtigen Gründen. Trotzdem ist es so, dass die meisten Leute einen Scheißjob haben. Wenn sie z.B. Putzen gehen, machen sie auch den Dreck der reicheren und herrschenden Leute weg. Aus der Subkultur oder von den Leuten die anders leben als die Masse, von denen kommen Ideen und Konzepte wie man unsere gemeinsame Zukunft gestalten sollte. Im Leben geht es nicht um Profit sondern um Nachhaltigkeit. Die Leute die als Bastarde oder Outlaws bezeichnet werden, sind die Leute die die zukunftsweisenden Ideen entwickelt haben. Neue Ideen kommen selten aus dem Mainstream, sondern meist aus der Subkultur.
Es geht nicht darum, dass wir die bösen Bastarde sind, auch wenn viele das wohl so verstanden haben. Anscheinend kommt der Text missverständlich rüber, wobei man sagen muss, dass der Refrain auch sehr eingängig ist. Wenn ich den Song höre, kommt mir sofort der Refrain in den Kopf. Der Song soll aber keine dieser “Underdog-Nabelschau-Nummern“ sein.
F: Ihr nennt euren Musikstil “Streetcore“. In vielen Songs betont Ihr, dass Ihr von der Straße kommt. Wie wichtig ist es euch, von der Straße zu kommen?
H: Die Frage kann ich nur als Person beantworten, weil das für jeden von uns sicher unterschiedliche Wertigkeit hat.
Für mich spielt das nicht so die Rolle. Für mich spielt vielmehr Authentizität eine Rolle. Egal in welche Richtung. Längst nicht alle der geilen Bands die ich kenne kommen von der Straße. Es ist sicherlich so, dass die anderen Jungs das stärker gewichten als ich. Ich bin zwar Akademiker aber ich fühle mich viel mehr der Straße verbunden. Tommi, der die meisten Texte von uns schreibt hat da einen ganz anderen Hintergrund. Tommi hat schon mit 14, 15 die Straße gesehen. Im Gegensatz zu mir. Ich hab das erst in Berlin mit 21, 22 Jahren richtig kennen gelernt.
Allerdings bekommen wir da auch ab und zu Kritik, dass wir das mit der Straße ein bisschen übertreiben. Das kann ich nachvollziehen. Es tut zwar ein bisschen weh, aber ich kann das schon nachvollziehen. Diese Kritik kommt allerdings selten von Fans, eher in Reviews. Manche finden das geil, manche nicht.
F: Wenn ich eure neue Scheibe höre, sehe ich da bei euren nachdenklichen, melancholischen Texten parallelen zu Broilers. Wie seht Ihr das?
H: Mit Broilers sind wir gut befreundet. Allerdings haben die uns von der Musik oder von den Texten gar nicht beeinflusst.
Auf der “Epidemie“ sind ein paar persönlichere Texte von uns, was z.B. Liebeskummer oder den Tod angeht. Das waren die Themen die uns seinerzeit beschäftigt hatten. Die Texte auf der “Bastarde von Morgen“ sind genauso entstanden. Guck dir die letzten zwei Jahre an. Selbst solche Knaller wie Fukushima sind nach zwei Wochen aus dem Bewusstsein der Leute verschwunden. Die ganze Entwicklung der Weltpolitik hat uns verdammt beschäftigt. Das liegt nicht daran, dass wir plötzlich nachdenklich geworden sind, sondern es waren Themen die einfach auf dem Tisch lagen, während wir die Songs geschrieben haben. Es ist einfach das Weltgeschehen, was wir kommentieren wollten. Ein Konzeptalbum haben wir allerdings noch nie gemacht, wäre aber mal ein interessantes Thema.
F: Da knüpft ja dann der Song “Das Problem sind wir selbst“ nahtlos an. Ein Song, den ich von TOXPACK nicht erwartet hätte. Gerade im linken Musikbereich gibt es wenig Songs die über Umweltschutz handeln.
H: Das freut mich, dass dir der Song gefällt. Viele Leute sehen uns als Prollband. Ich persönlich spüre das sehr stark, da ich aus einer anderen Ecke komme. Ich habe TOXPACK erst durch einen guten Freund, Peter Oz, den wir vor kurzem begraben haben, kennen gelernt. Peter hat mich seinerzeit angerufen und mich gefragt ob ich für eine Band was einspielen könnte. Damals hatte ich noch nix von der Band gehört und hatte keinen schimmer von der Oi-Szene. Dementsprechend haben meine Freunde das auch kommentiert. Wenn du die ersten beiden Platten hörst, ist der Vorwurf “Prollband“ auch nicht ganz unberechtigt. Aber alle Beteiligten werden ja auch älter und reifer. Unsere Texte werden genauso immer besser wie unsere Produktionen und unsere Songs. Das steigert sich gleichmäßig. Das finde ich gut. TOXPACK wird zwar niemals eine Politband, hoffentlich aber immer weniger Prollband.
F: Wird man mit dem Alter reifer?
H: Wenn ich mir meine Bandkollegen anschaue, dann ja. Wenn du mich persönlich fragst…frag meine Freundin, dann weißt du Bescheid.
Schulle z.B. hat seitdem ich ihn kennen gelernt habe bis heute eine echte Entwicklung durchgemacht. Schulle ist Vater geworden und hat eine Familie gegründet. Für Tommi, der einzige Skinhead in der Band, er spielt ja auch noch bei STOMPER 98, war die Band und Skin-Sein, das Ding. Da konnte er sich positionieren. Er musste sich auch positionieren. Er musste sich mit 14 gegen die Braunen in Lichtenberg durchsetzen. Die Clique mit der er rum hing bestand nur aus Nazis. Er hat in dem zarten Alter für sich gesagt, dass er diesen Weg nicht gehen will. Da war Skinhead-Sein für ihn Stütze und Halt. Von daher trägt Tommi diese Fahne immer noch. Tommi hat in der Zwischenzeit auch viele Erfahrungen gemacht. Wir sind mit TOXPACK international unterwegs. Mit STOMPER 98 ist er das sowieso. Du bekommst anderen Input als hierzulande. Du denkst plötzlich über andere Sachen nach. Ich denke schon, dass wir reifer geworden sind.
F: Da fällt mir auch der neue Song “Wenn Sehnsucht stirbt“ ein. Da geht es ja auch um den Druck von außen und wie man damit umgeht. Wie schafft Ihr es, euch treu zu bleiben?
H: Das ist der einzige Text von mir auf der Scheibe. Es sind auf jeder Scheibe ein oder zwei Songs drauf, die ich geschrieben habe.
Ich hab beim Schreiben des Songs nicht daran gedacht, wie wir es selber schaffen uns treu zu bleiben. Was mich echt ankotzt ist der Dress - und Verhaltenscode in der Szene, egal ob in der Deutschrock-, Oi- oder Deutschpunk-Szene. In Kreuzberg bin ich Jahre lang geschnitten worden, von den ganzen coolen Jungs, weil ich nicht als Punk rum gelaufen bin. Ich hab immer Punk gemacht. Hab in Punkbands gespielt und alles. Da hab ich immer gedacht “Ihr seid die wahren Spießer!“. Ich hab keinen Iro. Ich renn nicht mit abgerissenen Klamotten rum. Somit hatte ich die entsprechenden Attribute nicht, dabei war ich mehr Punk als die, die mich geschnitten haben. Leider ist das in vielen Subkulturen das selbe.
Mein Hauptfokus beim Schreiben war das Thema “Deutschrock“. Wir versuchen uns von dem Thema nicht involvieren zu lassen. Wir spielen zwar Hier und Da auch mal ein Festival mit, weil wir es einfach auch müssen und weil es auch tierisch Spaß macht. Die Festivals sind gut organisiert und vor 5000 Leuten zu spielen ist schon klasse. In der Deutschrock-Szene fällt mir der Verhaltens - und Dresscode besonders auf. Als ich den Song im Studio geschrieben habe, hab ich parallel ein Buch von Rousseau gelesen, in dem es u.a. genau darum geht: Sei Du selbst!!! Leider hat Tommi, als er den Gesang aufgenommen hat und ich nicht im Studio war, noch eine Zeile gestrichen. Meine Zeile war “…in Deutschland wird wieder im Gleichschritt gerockt“. Die Zeile hat von der Phrasierung her nicht so gut gepasst. Ich fand die Zeile aber gut, als kleinen Seitenhieb auf die ganze Deutschrockszene.
F: Ich hab das Gefühl dass diese Leute, und auch die Onkelz-Fans, immer eine gewisse Verbitterung haben. Da herrscht die Einstellung “Ich gegen Alle“. Hast du eine Ahnung woher diese Verbitterung kommt?
H: Ich bringe den „typischen“ Onkelz-Fan immer mit einem Opel Manta - Fahrer in Verbindung. Denke es geht um die Lebensverhältnisse. Man rackert sich ab und hat nix in der Hand.
F: Ihr habt auf dem neuen Album als Gäste Roi Pearce und Paul Bearer dabei. Was verbindet euch mit den beiden?
H: Mit allen Gastsängern die wir bisher auf den Alben hatten, außer Paul, hatten wir davor auch zu tun. Wir haben mit denen gespielt oder haben uns auf Tour getroffen. Mit Discipline sind wir z.B. jahrelang immer wieder auf Tour gegangen und haben gemeinsame Gigs gespielt. Da entstehen Freundschaften, die Dank Internet auch aufrechterhalten werden können. Früher warst du als Band viel isolierter. Heute bist du viel besser vernetzt. Das ist total super. Die Verbindung zu Paul Bearer ist entstanden als Tommi mit STOMPER 98 in New York gespielt hatte. Er hatte ein Toxpack-Shirt an. An dem Abend kam Paul Bearer auf ihn zu und meinte, dass er ein cooles Shirt anhätte. TOXPACK wären die beste deutsche Band die er kenne. Da meinte Tommi zu ihm “Ich weiß, ich spiele in der Band!“.
Als wir die Scheibe aufnehmen wollten haben wir über M.A.D. Tourbooking seinen Tourmanager ausfindig gemacht und den Kontakt noch mal hergestellt. Paul hat sofort zugesagt. Paul war der einzige unserer Gäste bis dato, den wir noch nicht alle persönlich kannten.
Es ist toll, dass die Leute, die ja auch in sehr bekannten Bands spielen, auch mal Bands wie uns unterstützen. Da bin ich stolz drauf. Ist eine ansehnliche Riege mittlerweile. Da kannst du mit angeben.
F: Das zeigt natürlich auch wie verbunden Ihr mit der (Hardcore) - Szene seid.
H: In der Musikerszene haben wir einen ganz anderen Stellenwert als im echten Leben. Ich glaube in der Musikerszene stehen wir höher als im echten Leben. Das zu wissen ist mir schon fast Befriedigung genug. Zumindest wenn du den finanziellen Aspekt ausblendest.
Es ist einfach ein cooles Gefühl, wenn dich eine Band unterstützt die du als Fan selber hörst.
Ich hab mal ein Interview gelesen wo Roger von AGNOSTIC FRONT gesagt hat, dass er total viel Spaß hatte mit den Jungs von TOXPACK, als er in Berlin war. Da geht mir das Herz auf, wenn ich das lese! Wir machen das andersrum aber auch so.
F: Man hat ja auch mal klein angefangen und war froh, wenn einen eine größere Band unterstützt hat.
H: Vor acht Jahren als ich eingestiegen bin, sind wir für Spritkohle durch die Gegend gefahren, manchmal auch für weniger. Damals haben wir nie daran gedacht, jemals in solche Gefilde zu kommen wo man mit der Musik ein bisschen Geld verdient.
F: TOXPACK hat eine gewisse Wandlung erlebt. Die Band hat sich geändert aber auch die Fans und die Anerkennung in der Szene.
H: Am Anfang war die Band total beeinflusst von BIERPATRIOTEN. Wir sind ganz oft als “Ex-Bierpatrioten“ angekündigt worden, weil unser Sänger da mitgemacht hatte. Das hat alle tierisch genervt, vor allem hier in Berlin. Wir hatten damals Shows gespielt, da waren bis zu 80% Skins im Publikum. Das ist mir gegen den Strich gegangen. Gerade bei den Konzerten die von Skinheads dominiert werden, wenn man da sieht wie der Pogo abgeht. Wenn man da fünf, sechs Machospinner hat, die die ersten drei Reihen blockieren...von denen haben wir im Publikum mehr als andere Bands. Das stimmt schon. Selbst Tommi als Skinhead hat das genervt. Hier in Berlin ist der Anteil an Skins bei unseren shows auch immer noch höher als anderswo. Mit STOMPER 98 findet Tommi das o.k., die sagen “Oi, Skinhead Pride“. Dass passt ja auch bei der Band, aber eben nicht bei uns. Die Schublade “Oi“ hat für uns, zumindest seit den letzten vier Alben, nicht mehr gepasst. Bei den ersten beiden Alben hat das definitiv gepasst, aber danach nicht mehr. Ich würde die “Aggressive Kunst“ als Geburtstunde der “modernen Toxpack“ bezeichnen, und mittlerweile haben wir uns insgesamt auch ein viel heterogeneres Publikum erspielt.
F: Wenn man nur die beiden ersten Alben kennt und seitdem nicht mehr auf einem Konzert von euch war, kann man die Meinung vielleicht auch noch haben.
H: Die Meinung ist überholt. Die beiden ersten Alben waren auch nicht rechtsoffen. Wer das behauptet redet Blödsinn. TOXPACK war zu der Zeit einfach eine prollige Truppe, aber nie auch nur ansatzweise rechtsoffen! Von ganz früher hab ich gehört, dass Schulle eine gewisse Nähe zu Hooligans hatte, und das wird dann immer gleich mit Nazis gleichgestellt.
F: Ist das für euch eine Anerkennung, dass Ihr das dritte Mal im S.O. 36 spielt?
H: Ja, definitiv! Als Co-Headliner haben wir Kumpelbasis gewonnen, bei denen ich übrigens auch mal mitgespielt habe. Kumpelbasis steht ja eher für linksalternativen Kreuzberg-Punk. Damit wollen wir auch ein Zeichen setzen. Ich bin mal gespannt wie das Konzert verlaufen wird. Ich glaube, dass die meisten Fans von Kumpelbasis uns nicht kennen und andersrum ist es wahrscheinlich genauso. Die Hoffnung die dahinter steckt ist, dass gemeinsam Party gemacht wird. Wir möchten damit ein Gegenzeichen setzen, zu der ganzen Polarisierung die stattfindet. Das ist ein Experiment. Das kann zwar auch nach hinten losgehen. Ich glaube aber, dass das passt. Die Texte von Kumpelbasis stehen für sich und unsere Texte auch. Bei TOXPACK gibt es keinen Text der dazu aufruft Andersdenkende umzunieten.
Es gab da wegen der Show im letzten jahr gewisse Bedenken von Seiten der Secu-Leute vom S.O. 36. Ich hab dann ein Treffen mit der Antifa, uns und Leuten vom S.O. 36. organisiert. Die haben nach dem Gespräch alle den Daumen gehoben. Trotzdem hetzt “Oire Szene“ immer noch gegen uns. Das S.O. 36 ist jetzt auch Grauzone, weil sie uns spielen lassen. Wir versuchen da gegenzusteuern. Diese Einteilung in Grauzone, rechtsoffen usw. ist in dieser überzogenen Form (Oireszene und Co) totaler Bullshit. Wir spielen im So36, genauso wie beim Full Force, im Conne Island oder Juze Buxtehude und hier und da auf nem Deutschrock-Festival, was soll der ganze Scheiß?
F: Wollt Ihr die Leute da wegbekommen?
H: Wir wollen den Leuten zeigen, dass es auch was anderes gibt. Ich will jetzt nichts gegen Deutschrock im Allgemeinen sagen, wobei das für mich nach wie vor eher so was wie der frühe Westernhagen ist. Dass für den heute damit verbundenen Sound der gleiche Begriff gewählt wurde, finde ich etwas seltsam. Im Deutschrock sind die Texte vieler Bands sehr ähnlich. Es wird leider immer wieder ein bisschen gedeutschtümelt.
Letztes Jahr, als klar war, dass wir mit 9MM auf Tour gehen, bringen die einen Song mit dem Titel “Schwarz, Rot, Gold (wir stehen zu dir)“ raus, anlässlich zur Fußball-WM.
So einen Song wirst du bei uns nie hören! Fußballsongs ja, aber so was ganz bestimmt nicht.
Über Frei.Wild brauch ich gar nicht reden. Die find ich sehr fragwürdig. Finde das auch seltsam, dass solche Bands mit unpolitischen bis linken Bands in einen Topf geworfen werden. Wenn rechtsoffene Bands mit Bands wie Towerblocks oder uns in einem Topf landen, dann ist das echt nicht zu fassen! Dann können sich die wirklich rechten Bands hinter all den anderen verstecken, und das kanns ja wohl nicht sein!
Mit Frei.Wild würden wir definitiv niemals zusammenspielen. Auf einem großen Festival schon, aber keinen Club-Gig. Auf dem Full Force - Festival, da waren wir letztes Jahr dabei, nachdem wir viele Jahre darauf gewartet haben. Da haben wir vor 12.000 Leuten gespielt. Das war irre! Ich mach seit 30 Jahren Musik, aber so eine Stimmung hab ich echt selten erlebt. So einen Auftritt lassen wir uns doch nicht entgehen, nur weil Frei.Wild auch da auftaucht. Mit dieser Band wirst du uns nie im Club sehen. Das machen wir nicht aus Imagegründen sondern aus Überzeugung, weil die einfach Scheiße sind.
F: Wo ziehst du die Grenze zwischen (Lokal-)Patriotismus und Nationalismus?
H: Ich merke an mir selber, dass ich Lokalpatriot bin, vor allem für Berlin und Kreuzberg. Rational kann ich das nicht erklären. Denke, dass hat viel mit Psychologie zu tun. Heimatverbundenheit finde ich völlig o.k., wobei sich das bei mir auf Lokalpatriotismus beschränkt. Die Linken in Deutschland haben alle eine Abneigung zu Deutschland. In Portugal oder Italien z. b. hab ich das ganz anders erlebt. Da sind auch die Linken ganz selbstverständlich stolz auf ihr Land. Das finde ich soweit auch o.k.. Das kann ich ein Stück weit nachvollziehen, durch meinen eigenen Lokalpatriotismus. Dafür würde ich keinen verurteilen. Im Prinzip ist aber die Grenze zwischen Patriotismus und Nationalismus sehr schmal. Die meisten Leute die ich kenne, die Patrioten sind, haben diese Grenze längst überschritten und sind auf dem Weg zum Nationalismus.
F: Ich kann den Lokalpatriotismus auch nachvollziehen. Diesen merkt man ja in Berlin bei den Protesten auch, die durch den Zuzug von Besserverdienenden in die Szeneviertel verursacht werden. Die Mieten steigen und die alteingesessene Bevölkerung wird dadurch verdrängt. Wie gehst du als Kreuzberger damit um?
H: Ich werde sauer.
Ich merk das hier direkt im Haus. Im Hinterhaus gibt es eine sehr schöne Remisenwohnung im Hochparterre, mit Holzterrasse davor. Da bin ich schon die ganze Zeit scharf drauf. Ich denke zwar, dass die zu teuer ist, aber wenn man die Leute auf der Terrasse sitzen sieht, wird man schon neidisch. Seit einem Jahr ist da eine Riesenfluktuation in der Wohnung. Ich werd da bald mal rüber gehen und fragen ob das eine Ferienwohnung geworden ist. Es gibt solche Leute, die Kohle haben, fünf, sechs Wohnungen mieten, die durchrenovieren und die Buden dann als Ferienwohnungen vermieten. Das ist natürlich scheiße! Das sind dann Wohnungen die vom Markt sind, wodurch die anderen Wohnungen teurer werden.
Vor sechs Jahren, als ich hier eingezogen bin, waren nur Türken hier im Haus. Mittlerweile sind noch zwei Wohnungen von Türken bewohnt. Der Rest sind Studenten mit Geld von Papa. Das sind allerdings nette Leute. Es wurde viel gemacht hier. Früher bestand der Hinterhof nur aus Staub, jetzt ist da immerhin Rollrasen.
Der Kiez ändert sich massiv. Wenn du auf der Wrangelstraße lebst, bekommst du eine Phobie gegen Rollkoffer. Der Kiez ist überrannt von Touristen! Die Falckensteinstraße hieß schon mal Ballermannstr.. Da wurden Schilder über die normalen Straßenschilder gehängt. Das ist nicht übertrieben.
Mir geht das teilweise tierisch auf den Sack! Das ist das erste Mal in meinem Leben das ich so eine Art Xenophobie empfinde. Nicht auf den einzelnen Touristen bezogen, sondern auf die Touristen in ihrer Gesamtheit. Natürlich bringen die aber auch Geld in den Kiez. Es gibt dadurch im näheren Umkreis mehr Cafes und Kneipen, was ja nicht nur schlecht ist.
F: Wenn Touristen mit Geld sich entscheiden, hier zu wohnen oder zu studieren, kann im Kleinen schon Gentrifizierung entstehen.
H: Kreuzberg boomt! Das ist Fakt.
Als Beispiel kann ich dir das A&O Hostel in der Köpenicker Straße nennen. Die haben da mit 800 Betten angefangen. Vor kurzem haben sie sich um 400 Betten vergrößert! Wo gehen die Leute die da in der Köpenicker Straße alle übernachten wohl hin? Natürlich gehen auch welche nach Mitte aber die meisten Leute gehen nach Kreuzberg! Die wollen in Kreuzberg noch weitere Hostels bauen.
F: Kommt man sich da manchmal wie ein Tier im Zoo vor?
H: Das fand ich früher schlimmer. Wenn du da die Oranienstraße lang gelaufen bist, kamen die Touristenbusse und haben angehalten sobald ein paar Punks zu sehen waren. Dann sind die Touristen raus und haben schnell Fotos gemacht und die Punks fotografiert.
F: Als abschließende Frage, würde ich gerne wissen, ob sich durch die anstehenden Wahlen in Berlin, deiner Meinung nach, was ändern wird.
H: Das kommt darauf an wer gewählt wird. Ich glaube unter Rot-Grün würde sich, im Vergleich zu Rot-Rot, was wir ja jetzt haben, definitiv was ändern. Ich hoffe auch, dass es dazu kommt. Was ich sehr interessant finde, sind die Umfrageergebnisse der Piraten-Partei. Das wäre der Oberknaller, wenn das eine Dreier-Konstellation geben würde, SPD, Grüne und die Piraten. Als Stammwähler der Grünen habe ich auch schon mal mit der Linken geliebäugelt, aber die werde ich wohl die nächsten 10 Jahre nicht wählen. Über die Piraten-Partei weiß ich noch zu wenig, da muss ich mich erst schlau machen.
F: Wenn die rein kommen, wäre das ein ganz neuer Ansatz.
H: Genau. Ich denke, das ist etwas, was nicht nur Berlin braucht. Rot-Grün war für mich mal die Traumkonstellation, beide als gleichwertige Partner. Und in der Opposition eine schön fiese CDU, aber ich glaube die Zeiten sind nicht mehr so. Ich glaube, daß wirklich neue Konzepte her müssen. Auch wenn ich die Grünen sehr gut finde, sind die für mich mittlerweile sehr altbacken geworden.
F: Finde, dass viele der Grün-Wähler den Eindruck von Linken Spießern machen.
H: Das geht mir genauso.
Als früher die Grünen Stück für Stück in die Landesparlamente eingezogen sind, fand ich sie sehr erfrischend. Auch so was wie im Parlament zu stricken anfangen. Da haben auch Männer gestrickt. Oder die berühmte Szene mit Joschka Fischer in Turnschuhen. Das fand ich super! Und das hat auch inhaltlich was bewegt.
Heute unterstützen ja selbst die Erzkonservativsten das, was die Grünen seit 30 Jahren sagen. Das sich Angela Merkel als Anti-Atom-Kanzlerin darstellt, hätte früher niemand gedacht. Auch wenn die von der CDU ist, scheißegal. Das Resultat zählt.
Früher haben die Grünen neue Impulse gebracht, aber schau dir die Grünen heute an. Nur Ströbele ist noch der Alte geblieben, und das ist einer der ältesten. Die ganzen Nachrücker könnten auch in der SPD sein.
F: Ströbele wirkt heute fast exotisch bei den Grünen.
H: Ich finde das so schade, dass der aufhört. Der hat mir auch immer die Wahlentscheidung abgenommen. Dem Typ kannst du auch wirklich trauen. Der ist absolut integer, glaube ich.
Ich hoffe, dass die Piraten, wenn sie reinkommen, frech sind und neue Sachen ausprobieren.
F: Die Piraten sind eine Partei die auch die Internetgeneration vertritt.
H: Die FDP wird immer mehr zu so einer Art Sekte. Es ist noch gar nicht so lange her, da hatte die FDP mit Westerwelle 15 % bekommen. Da dachte ich “Gute Nacht Deutschland“. Jetzt ist die FDP da, wo sie hingehört.
Ich bin mir sicher, wenn nach der Wahl die Wählerwanderungen erklärt werden, die FDP bei ihren 2,5 % ist und die Piraten bei 6 %, rate Mal wo die Wähler herkommen werden. Da kommen garantiert eine Menge Wähler von der FDP. Da bin ich mir sicher! In der FDP sind ja nicht nur die ganzen reaktionären Arschlöcher sondern da sind auch diese Hardcore-Liberalen drin, die so was wie die bürgerlichen Freiheitswerte vertreten. Die Piraten könnten ein Auffangbecken für die werden, die sich in der FDP nicht mehr wohl fühlen. Das finde ich eine interessante Mischung bei den Piraten. Linksalternativ vom Hintergrund mit Liberalismus. Das ist ja als solches nichts Verwerfliches
Das Wahlergebnis aus Berlin steht nun. Jeder kann sich seine Meinung dazu bilden, aber ein paar neue Impulse wären tatsächlich nicht schlecht. Die Piraten haben die Chance dazu.
Die Chance TOXPACK im Herbst und Winter live zu sehen hast du auch. Diese solltest du wahrnehmen. Alle Infos hierzu unter:
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