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Utopia-Banished, Mickey the sick, Fliehende Stürme - Das Sommerfest in Halberstadt

09.08.2011

Ausflüge sind doch wirklich etwas Schönes. Besonders, wenn man dabei etwas Wertvolles lernen kann. Wir durften bei unserer Reise nach Halberstadt zum „Zora Sommerfest 2011“ beispielsweise die grausam niedrige Geburtenrate in Deutschland am eigenen Leibe zu spüren kriegen. Wir hätten nämlich wirklich gerne nach dem Weg zum Konzert gefragt, allerdings hat die notwendige Ressource (Mensch) gefehlt, die man fragen könnte. Glücklicherweise fand sich dennoch ein Mädel, das uns zuverlässig den Weg weisen konnte. Außerdem lernten wir, dass es im Osten so etwas wie Straßenbahnen, Strom oder Internet gibt. Wahrlich, so ein Konzertausflug hat auch seine lehrreichen Seiten zu bieten. Natürlich vergessen wir auch nicht die Hauptsache an der ganzen Sache: Den Spaß! Schließlich beehren uns heute Abend „Fliehende Stürme“, die durch „Utopia-Banished“ und „Mickey the sick“ unterstützt werden. Also auf geht es in das schwermütige Vergnügen!

So fanden wir vier – also Ecki, Eugen, Alisa und ich – uns schließlich vor den…Toren des soziokulturellen Zentrums „Zora“ in Halberstadt wieder. Wir waren zwar schon etwas spät dran, aber die Zeit vor dem Beginn reichte noch für ein paar Biere aus. Obwohl ich heute die Arschkarte (= Fahrer) gezogen hatte, ließ ich mir die Verkostung eines Gerstenwassers nicht entgehen. Der Abend war schließlich noch jung und ganz ohne Alkohol ist das ja auch doof...und den armen Ecki kann ich auch nicht alleine trinken lassen!
  Als wir jedoch die Töne der ersten Band „Utopia-Banished“ mitbekamen, beschlossen wir dennoch schnell reinzugehen. An der Kasse offenbarte sich uns – was den Lernfaktor der heutigen Reise quasi verdoppelte -, dass die Handtasche einer Frau wirklich eine extreme Menge an Gegenständen in sich aufnehmen kann. Volle Flaschen, leere Flaschen, eine Sektflasche (Mädchen trinken ja kein Bier) und sonstiger Kram, den ich nicht aufzählen, sondern so schnell wie möglich vergessen möchte. Angeekelt und mit voller Überzeugung lösche ich mein Gedächtnis dauerhaft.

„Utopia-Banished“ wurde auf dem Flyer als „Experimental-Industrial-Rock aus NRW“  angekündigt. Wir waren allesamt ziemlich gespannt, wie sich sowas anhört. Erstens, weil wir nicht wirklich etwas mit „Industrial-Rock“ anfangen konnten und zweitens, weil „Experimental“ etwas vielversprechendes und „neues“ an sich hatte. Doppelt-Interessant also.
  Tatsächlich gestaltet sich der Auftritt als ziemlich einzigartig. Es gab einen singenden Gitarristen, einen Keyboarder, einen Schlagzeuger und einen Bassisten. Der Schlagzeuger hatte wohl den Keyboarder zum besten Freund, denn die beiden haben sich ziemlich gut ergänzt und spielten fast jedes Stück "zusammen". Wo der Tastentipper sich der Schlagzeugtöne, die man oft bei elektronischer Musik zu hören bekam, bediente, so war der eigentliche Schlagzeuger für das grobe Raufhauen zuständig. Der Sänger und Gitarrist der Band schien wohl irgendwie gespalten zu sein. Entweder überzeugte er durch Gesangs- oder Schreieinlagen oder spielte sein Solo- oder Akkordprogramm runter. Im seltensten Falle spielte er das Instrument und trug dabei die Texte vor. Der Bassist war der Einzige, der durch sein Spiel (aber sehr wohl durch seine Sandalen!) weniger hervorstach. Er spielte gemütlich und ruhig seine Noten nieder und wippte damit seinen Fuß im Takt. Schrecklich, wie einfache Sandalen auf der Bühne das Publikum (Naja, mich zumindest...) zu fesseln wissen. Alles in allem fand ich die Band sogar ziemlich okay. Die Grundstimmung flüsterte mir ständig die Worte „Verzweiflung“ oder „Trauer“ zu, wobei doch der Stil durch das Geschrei doch irgendwie härter zuzordnen wäre. Aber „Screamo“ würde ich die Band nun auch nicht nennen wollen…wie wäre es mit „Experimental-In…“…äh, egal. Immerhin wissen wir, was es nun mit der Eigenbezeichnung auf sich hatte. Was ich jedoch komisch fand, war das Feedback des Publikums. Ich fand die Band beileibe gar nicht schlecht. Als Vorband war sie definitiv geeignet und hat sicherlich auch ihr eigenes Potenzial noch ein bisschen bekannter zu werden. Nur schade für sie, dass nur wenige Zuschauer gezeigt haben, wie sie zu der Musik stehen. Mit ein bisschen Geklatsche oder Jubelrufen war es leider schon vorbei. Komisch.

„Oh, schau mal! Da sind Frauen auf der Bühne! Hat dort jemand seine Kochplatte fallen lassen?“. Ja, tatsächlich, die Band „Mickey the sick“ besteht ausschließlich aus weiblichen Mitgliedern (Und nein, ich werde den Urheber des Zitates nicht nennen. Wir soll denn sonst mein Freundeskreis ohne Ecki aussehen, wenn man ihn dafür massakriert? Na also!). Und bevor gleich die Rezension an dieser Stelle vorbei ist: DAS EINE MÄDEL HAT SCHWEISSFÜSSE (sagte sie zumindest)! So, da ich nun durch meinen Kommentar (hoffentlich) wieder dafür gesorgt habe, dass das Blut vom Glied wieder zurück ins Gehirn geflossen ist, können wir ja weiter machen.
  Auch wenn die zierlichen Gestalten es nicht auf den ersten Blick haben anmerken lassen, so spielen sie doch ziemlich guten und lauten „Punk’n’Roll-Rock“. Nach kurzer Einspielphase und vielen (besonders männlichen) uuuunglaublich lustigen Kommentaren des Publikums ging es nun endlich los. Was sofort und bis zum Ende hin auffiel war das Schlagzeug. Es hat bei jedem Track und jedem Song nur so gescheppert und geknallt, wobei der Bass und die Gitarre ihr übliches dazu beigetragen haben. Der Bass war stark verzerrt und hat beim Zuhören echt Spaß gemacht, wobei die Gitarre eher melodisch ausgelegt war. Teilweise war sogar das gute alte Prinzip der „Nur-drei-Akkorde!“-Regel wieder eingeführt. Hurra! Simpel und hart, so gehört sich das! Wie die Befehle eines Mannes seiner Frau gegenü...ähm, ich lasse das an der Stelle besser.
Wäre nicht die sehr passende Rock-Stimme der Sängerin nicht gewesen, so hätte man den musikalischen Hintergrund auch für „Hardcore“ halten können. Aber die rotzfreche Stimme hat wirklich das gehalten, was versprochen wurde: Punk’n’Roll, Baby!!
  Erste Tanzgruppen bildeten sich, die ihre Plastikbehältnisse hin und her schwankten und zu der Musik ihre Becher leerten. So gehört sich das! Ich habe an diesem Abend wirklich mit ausschließlich schwermütigen Bands gerechnet und weniger mit Tanz- oder Rock’n’Roll-Musik, aber dennoch fügten sich die drei Weibchen sehr gut in das Konzertbild ein. Natürlich ging es um die üblichen Rock-Themen wie „Sex, Drugs and Rock!“ und ließen auch keinen Moment lang den Zweifel aufkommen, dass es jemals anders sein könnte oder sein dürfte. Doof an der ganzen Sache war allerdings, dass ihr Zeitraum enger begrenzt war, als der Freiraum eines früheren DDR-Bürgers. Leider erlaubte man den Mädels nicht ein paar Zugaben zu spielen, wo diese doch lautstark vom Publikum gefordert wurden. Schade, ein oder zwei Lieder wären sicher noch schön gewesen. Aber egal, die Band hat auf jeden Fall überzeugt und brachte etwas frischen Wind in das Genre!

Wie lang ist es her? Vor mehr als einem Jahr, in Magdeburg, glaube ich. Da sah ich die Stürme zum letzten Mal und hatte noch alles gut in Erinnerung. Und dieses Mal war sogar ein neues Album dabei, das sie live vorstellen konnten. Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen und wurde auch vor dem Auftritt überrascht. Die sonst so ernste und melancholische Band hat tatsächlich eine humorvolle Ader, die ein bisschen ungewöhnlich (aber nicht negativ) war: „Der Jens (Schlagzeuger) braucht noch mehr Lautstärke“ . „ (Hinten vom Schlagzeug aus) Du sagst meinen Namen, als ob du mich persönlich kennen würdest“. „Entschuldigt, aber SCHLAGZEUGER braucht mehr Lautstärke“. Ein Schmunzeln konnte ich mir echt nicht verkneifen.
  Doch bald ging es los. Das Keyboard spielte ein kleines Intro ein und die Band konnte sich mit Zigaretten oder Alkohol ein bisschen vorbereiten, bis es mit dem Song „Sterne“ losging. Hach, wie hatte ich diese Atmosphäre vermisst! Es wurden neue und alte Songs gespielt und ließen keine Minute ihres Auftritts langweilig werden. Manchmal gingen sie sogar so weit zurück, wie sie eigentlich existieren…und bedienen sich einfach alter Lieder ihrer Vorgängerband. Mit „Duell der letzten“ oder „Ein Tropfen im Feuer“ sorgten sie bei alten Hasen und bei mir für unglaublich viel Nostalgie. Es ist, als wenn die Band für die paar Minuten ihren neuen Namen abgelegt hätten…Wahnsinn!
Die Sache mit dem Keyboard wurde ganz elegant von außerhalb gelöst: Durch die Lautsprecherboxen waren verschiedene Einsätze des Synthesizers zu hören, während die drei Herren ihre Lieder mit den Grundinstrumenten begleiteten. Ob nun „Satellit“ oder „Teilzeit“, alles war perfekt an seinem Platz und sorgte auch für sehr schöne Tanzstimmung und lud zum Mitsingen ein. In meiner ganzen Laufbahn als Konzertbesucher ist es nur sehr selten vorgekommen, dass ich nicht am Pogo teilgenommen habe. Dieses Mal hatte es einen ganz guten Grund dazu: Es gab nämlich gar keinen. Auch wenn ich nur zufrieden bin, wenn ich berauscht und halb-tot von der Tanzbühne treten kann, so hat doch die einzigartige Musik dieser Band dafür gesorgt, dass ich durch pures Mitlauschen- und singen völlig zufrieden war. Dass ich aber teilweise dennoch ein wenig das Tanzbein geschwungen habe, konnte ich aber nicht unterdrücken. Denn trotz der Schwere der Lieder kamen einige Songs, die wirklich „abgingen“. Live scheinen die Melancholisten eine kleine Spur härter und schneller zu spielen, was sich auch wunderbar mit ihrem Stil vereinbaren lässt. Wer die Band nur von CD’s aus kennt, der wird mir weniger Glauben schenken (hab ich nämlich anfangs auch nicht für möglich gehalten), aber ich rate euch: Seht es euch selber an und ihr wisst, was ich meine!
  Es gab sogar noch eine kleine Zugabe, bevor nun endgültig Schluss war. Betrübend war leider die Tatsache, dass die Polizei etwas von Ruhestörung gehört haben will und wohl auch das Konzert unter Beobachtung stellte. Scheisse! Das sorgte leider dafür, dass die Fans nur noch halb so viele Mülltonnen anzünden und nur noch mit 110 Dezibel rülpsend durch die Straßen schlendern durften. Das war natürlich weniger schön.
Trotz allem war der Auftritt grandios und hat mich wieder einmal daran erinnert, dass ich diese Band vielleicht mal öfters besuchen sollte…ja, das wäre gut. Sehr gut sogar. Sogar Stürmisch gut! Wie bitte?...ok ok, ich höre ja schon auf…

Welch ein wunderbarer Abend! Die Stimmung war hinterher irgendwo zwischen bedrückt und sehr gut gelaunt einzuordnen und ließ mir am nächsten Tag sowas wie Bewegungsfreiheiten, da mir zur Abwechslung mal nichts weh getan hat. Ein voller Erfolg also! Ich freue mich auf das nächste Mal!


Geschrieben von ChaosZx2 am 10.08.2011, 00:00 Uhr


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