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5. ROCKEN AM BROCKEN 29.-30.07.11

17.08.2011

Elend und Sorge. Zwei Attribute, die man sicherlich mit keinem Festival assoziieren will. Und wenn das mal nicht schon zu Wortspielen einlädt… Aber nein, glücklicherweise haben „Elend“ und „Sorge“ inhaltlich nichts mit dem Festival ROCKEN AM BROCKEN zu tun, denn in Elend bei Sorge befindet sich das Gelände des Festivals. Wer nicht weiß, wo Elend liegt und auch nicht, wo die Ortschaft Sorge ist, der wird ganz sicher auch nicht wissen, wo sich das Festivalgelände Gieseckenbleek befindet. Dem kann aber Abhilfe verschafft werden: Die Orte befinden sich ganz in der Nähe des Ortes Schierke, dem Geburtsort des gleichnamigen Kräuterschnapses Feuerstein. Direkt neben der wundervollen Kulisse des Berges Brocken (der weniger aufmerksame Leser kann nun auch schlussfolgern, woher der Festivalname stammt) inmitten malerischer Wälder. Das Rocken am Brocken wurde 2009 vom Tagesspiegel zu einem der zehn besten Festivals in Deutschland gekürt, 2010 sogar glorreicherweise mit einer eigenen Frage bei WER WIRD MILLIONÄR beehrt, welche auch auf den Wortwitz „Elend bei Sorge“ abzielte. Na, wenn das mal nichts ist. So weit so gut.

Die Idee zum Festival erblickte das Licht der Welt schon 2004 in einer Studentenkneipe in Wernigerode, initiiert von zwei Studenten. 2 Jahre lang nutzten die fleißigen Studenten dann jede Vorlesungspause, um Umsetzungsmöglichkeiten und Visionen vom Hirngespinst zur Tat werden zu lassen. So fand 2007 das erste ROCKEN AM BROCKEN statt mit erstaunlicherweise sogar schon 900 Besuchern. Ein tolles Paradebeispiel dafür, dass etwas klappen kann, wenn man sich intensiv damit auseinandersetzt, organisatorische und finanzielle Risiken inkauf nimmt und vollkommen selbst ein solches nun zur Institution gewordenes Festival ins Leben ruft. Ohne großes Finanzkapital oder skrupellose, gesichtslose auf Imagepolitur versessene Firmen a la Coca Cola als Geldgeber in der Hinterhand. Das Festival war vom ersten Jahr an bestens organisiert und zeichnete sich durch ein freundliches Festivalteam aus, wie mir Daniel von den 5Bugs, dem Headliner von 2007, bestätigte. 2008 fand das Festival meines Erachtens das beste Line-Up mit Bands wie TURBOSTAAT und meiner mit-Lieblingsband MUFF POTTER, welche sich bekannterweise leider schon auflösten. Insgesamt jedoch ist das ROCKEN AM BROCKEN ein Festival, welches die Sparten Indie, Rock und Elektro bedient, wobei 2011, im fünften Festivaljahr, das Augenmerk bis auf wenige Ausnahmen auf Indie lag. 2.700 Besucher wurden erwartet, es dürften wohl auch so viele gewesen sein, wenn nicht ein paar weniger. Beide Headliner waren mit gänzlich unbekannt: Art Brut und Good Shoes, dafür lockten mich HERRENMAGAZIN und ADOLAR.

Das Festivalgelände vom ROCKEN AM BROCKEN ist überschaubar: Auch vom entlegendsten Zeltplatz schafft man es bequem in 5 Minuten vor die Bühnen. Interessant hierbei war, dass der Zeltplatz nicht umzäunt war, sondern lediglich die Bühnen, das heißt, dass man auch ohne Eintrittskarte auf dem Festivalgelände hätte zelten können, so etwas hatte ich vorher noch nicht gesehen. Das hat seine Vorteile, aber auch sicher seine Nachteile, da der gesamte Zeltplatz vollständig unbewacht war. Leider gestalteten sich die Kontrollen vor dem Bühnengelände dann als derart streng, dass man nicht einmal das mitgebrachte Bierchen vor die Bühne nehmen durfte, nicht einmal umgefüllt in einen Becher. Wenn man sich also nicht für 2 Euro ein kleines Bier kaufen will, heißt es oft zum Zeltplatz zurückzukehren.

Am ersten von beiden Festivaltagen spielten drei mir bekannte Bands: HERRENMAGAZIN und ADOLAR direkt hintereinander und später am Abend FOTOS. Über die Indie-Band HERRENMAGAZIN braucht man wohl nicht mehr viel schreiben. Halbverzerrte Gitarren, getragene Lieder mit der Sentimentalität der Hamburger Schule (tadaa: die Band kommt sogar aus Hamburg), klingt aber dennoch irgendwie roh und ungeschliffen, was die Herren sympathisch macht,  wie auch die halbschiefe Stimme des Sängers. Genau wie Bandfotos der vier Hamburger, auf denen sie mit Außenseiter-Schwiegermutterlieblings-Spießeroutfit glänzen, bei dem man denkt: Ja, das waren frühere die, die in der Schule in den Pausen verhauen wurden. Pollunder, Hornbrille, Bügelfaltenhose, weiße Socken und Seitenscheitel stehen hier ganz oben, das lässt dann doch auf Selbstironie schließen. Auf der Bühne haben die Jungs sich das dann aber doch gespart, man muss es schließlich nicht übertreiben. Nach HERRENMAGAZIN spielten ADOLAR, eine Band die von der Uncle Sally`s sogar mal unter der Rubrik Punk gelistet wurde. Punk? Also mit Punk haben ADOLAR nun wirklich nichts zu tun. Mal schnelle Passagen und mal ein bisschen Geschrei, viele Themenwechsel und viele Einwürfe, die beim ersten Hören vielleicht chaotisch wirken, aber sehr wohl sehr durchdacht sind: Das würde vielleicht die Musikredaktion von Klassikradio als Punk bezeichnen, zu Punk gehört dann aber meines Erachtens doch ein bisschen mehr als das, was ADOLAR liefern, nicht nur musikalisch, sondern auch inhaltlich. Trotzdem mag ich ADOLAR, spielen sie doch mit Stille und Ausbruch und erzeugen so ordentliche Kontraste in ihren Liedern. Dabei erinnern sie mich manchmal an die frühen Biffy Clyro. Im Oktober bringen sie ihr neues Album „Tanzenkotzen“ raus, ihr zweites, darauf freue ich mich schon sehr. Besonders die Texte gefallen mir sehr, sind sie doch so unkryptisch und abstrakt, singen ADOLAR wohl einfach, was ihnen an Sätzen in den Sinn kommt. Hierbei sollte sich der Hörer nicht fragen, was sich der Künstler wohl dabei wieder gedacht hat. An dieser Stelle auch noch mal Dank an Tom von ADOLAR, der es mir ermöglichte, Backstageluft zu schnuppern und das ein oder andere Backstage-Freibier zu kippen.

Eine dritte Band kannte ich zumindest vom Namen her auch noch: FOTOS. Da war meine Reizschwelle an Indie-Musik jedoch erreicht und ich fand, dass sich alles gleich anhörte. Also zurück zum Zelt. Nachts war es auf dem Zeltplatz sogar angenehm ruhig. Da kam eher Zelt- als Festivalatmosphäre auf, sicherlich kann das zum Einen auch mit der bergigen Wanderlandschaft zu tun haben. Zum Anderen aber auch sicherlich mit den Besuchern des Festivals: Normale bis gesetzte Gesetzestreue, die es nicht nötig haben, auf ihren Dosenpfand zu bestehen (nobel geht die Welt zugrunde) und die, die Nacht sogar auf einem Festival zum Schlafen nutzen. Hat auch was für sich, so war das ROCKEN AM BROCKEN für mich das erste Festival, nach dem ich nicht noch drei Tage Urlaub brauchte.

Herrschten in Berlin zu diesem Zeitpunkt vier Tage Dauerregen, war im Harz lediglich der Samstag Morgen etwas verregnet. So schien die Sonne sogar wieder bei der ersten Band, die ich sehen wollte: MINNI THE MOOCHER aus Berlin. Für alle, die auf Farin Urlaubs Solo-CDs und deren Ska-Einfluss stehen sicherlich eine schöne Abwechslung, auch wenn die MOOCHERS mit recht gezwungen klingenden reim-dich-oder-ich-fress-dich-Texten arbeiten, auf Dauer ein wenig ermüden und mir die Stimme des Sängers live nicht gerade zusagt. Der Höhepunkt für Samstag war für mich nicht der mir unbekannte Headliner Art Brut, sondern JUPITER JONES. So erging es anscheinend allen Besuchern, sodass sich vor der Bühne bei JUPITER JONES die bisher meisten einfanden. Zum Glück ist die Band live nicht so Mainstream-lastig, wie man zunächst vermuten will, läuft ihre Single „Still“ doch auch auf allen Kommerzradiosendern deutschlands rauf und runter. Es waren sogar leichte Tendenzen in Richtung Pogo vor der Bühne zu sehen. Das sollte jedoch auch der einzige Pogo-Versuch des ganzen Festivals sein.

Insgesamt ein tolles Festival. Berlin versank 4 Tage im Dauerregen, davon war im Harz nichts zu spüren. Wer ein Festival besuchen will und dabei auf Pogo verzichten kann, für den ist das ROCKEN AM BROCKEN sicherlich ein guter Tipp. Ein gesittetes Festival für all die, die Urlaub und Festival in einem haben wollen mit gesetztem gutbürgerlichem Publikum. Aber gut, ich war selbst nicht besser, habe ich mir doch den Luxus gegönnt, quasi mein halbes Bett ins Zelt zu bauen, um auf Wolke 7 schlummern zu können.

Es ist wahrscheinlich die Lage, welche die Attraktivität des Festivals auszeichnet. Direkt neben dem Zeltplatz die Harzer Waldlandschaft genießen zu können, das macht das ganze schon zu einem kleinen Urlaub in luftiger Berghöhe. Auch wenn die Bands bis auf ADOLAR keinen Platz auf meiner Festplatte haben und finden werden, kann man das Festival durchaus weiterempfehlen. Bei einem Line-Up, welches einem jedoch nicht 100%ig zusagt, sind 32 Euro Ticketpreis zuzüglich VVK-Gebühr und aufgrund der Abgeschiedenheit des Festivals vergleichsweise hohe Anreisekosten aber auch nicht zu vernachlässigen.


Geschrieben von Chris am 18.08.2011, 00:00 Uhr


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