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RANGER und REACTORY im SO36, Berlin


Als ich klein war, ganz klein, im Kindergarten, fand ich He-Man super. Ich hatte keinen Fernseher, aber mir war klar, dass ein langhaariges Muskelmännchen mit Schwert und einem totenköpfigen Feind irgendwie der Überknaller sein muss. Danach war die Phase irgendwie überstanden, und in meiner Jugendzeit belächelte ich als Punkrocker die Verwirrten, die ihren Metall-Helden zujubelten. Gestern war ich auf einem Speedmetal- und einem Thrashmetal-Konzert, irgendwie habe ich immer das Gefühl, das hängt auf einer bestimmten Ebene zusammen. He-Man für Erwachsene. So schließt sich der Kreis.

Es ging nun also ins alte SO36, das nicht unbedingt brechend voll war, aber im Laufe des Abends besonders für einen Tag unter der Woche eine ansehnliche Publikumsdichte erreichen sollte. Mit dabei, frisch per Zeitmaschine eingeflogen: Metal-Hipster, die sich extra auf 80ies stylen mit trashigen Thrash-Shirts, knallengen Röhrenjeans, Matte und (weißen) Turnschuhen. Traditionsbewußte Rebellen? Jedenfalls eine gute Kulisse für das nun anstehende musikalische Erlebnis. RANGER aus Finnland boten das erwartete optische Portrait. Langhaarige Heroen inklusive einem Ventilator direkt vor einem Gitarristen, damit die Mähne theatralisch wallt. Das klangliche Programm lag irgendwo an der Schnittstelle zwischen klassischem, melodischem Eierkneifer-Metall und dem Tempo der Thrash-Klassiker. So so, das ist also der sogenannte Speed Metal. Gute Sache. Wieder etwas gelernt.

Das Set hatte einen schönen Aufbau, der das Können der Musiker nach und nach immer mehr zur Geltung brachte. Während das Schlagzeug am Anfang eher unspektakulär den Verein auf Trab hielt, brach ungefähr beim dritten Song ein Geballer auf den beiden Bass Drums los, was mich zu entzücken wusste. Der Sänger setzte sein Falsett gern und gekonnt ein, ohne es zu übertreiben. Übrigens auch bei den Ansagen, wenn schon, denn schon. Den Rest der Zeit gab es aggressives Shouting. Durchgehend schnelle Riffs wechselten sich mit spektakulären Soli ab. Bei hochmelodischen Zwilingsgitarren-Soli wurde auch gern ausgiebig posiert, Klampfen in die Luft gereckt, alles schön wie es sein soll. Auch ein Doublebass-Solo mit Stöckewirbeln war dabei. Zwischendurch ging es in längere instrumentale Teile, dann ritt die Band auf 6/8-Takten durch ihre Songs, alles gekonnt und treibend. Spätestens beim Finale, als noch einmal alle Register gezogen wurden, war das komplette Publikum headbangend und mitschwingend eingenommen. Mein einziger Kritikpunkt wäre vielleicht, dass der Sound manchmal zu viel Hall hatte und so die einzelnen Instrumente nicht sonderlich definiert herauszuhören waren. Davon abgesehen, ein sehr guter Start für den ersten Deutschland-Ausflug von Ranger.

Als zweites waren die Berliner REACTORY am Zug. Dies war das Konzert zu ihrer neuesten Veröffentlichung "High on Radiation". Im Hintergrund ein geschmackvolles Banner mit einem radioaktiven Zombie-Nazi-Soldaten (das aktuelle Plattencover), im Vordergrund eine Band, die keine Bremse kennt. Der Sound war um einiges härter und lauter, wenn die Gitarren klingen wie eine Motorsäge und der Bass alleine schon so schnarrt, weiß man als Hörer, gleich wird’s brutal. Was dann folgte war schätzungsweise eine Stunde schöner Thrash, immer nach vorne, wenig Spielereien, keine Experimente. Wenn dein Hamster stirbt, ist das der Soundtrack zum abreagieren. Melodien: Fehlanzeige, dafür immer volle Möhre durchgeprügelt, geschrien, geschrammelt. Ich habe keinen der Musiker für nur eine Sekunde stillhalten oder auch nur entspannen sehen, immer wurden unermüdlich die Gitarrenläufe rauf und runter gespielt, rasante Fills in die Felle gedrückt, solange nur kein Moment der Ruhe entsteht, sondern ein druckvolles Inferno. Dem Pöbel hat es deutlich gefallen, die Band war gut gelaunt, und auch ich konnte mich an dem Spektakel erfreuen.

Irgendwann war ein kleiner Abnutzungseffekt des Grundrezeptes zu bemerken, immer das Gaspedal durchgedrückt ist zwar eine ordentliche Leistung, aber nach einer halben Stunde merkt man nicht mehr so richtig den Unterschied zwischen den Songs. Ein wenig mehr Abwechslung würde zumindest mich noch ein Bisschen länger bei der Stange halten, während ich hier zwischendurch auch mal ein wenig abgeschaltet habe. Aber hey, ich war mal in Badelatschen auf einem Slayer-Konzert, ich kenne keinen Schmerz mehr. Dennoch: REACTORY gern immer wieder, besonders wenn ich einen Überschuss an Aggression verspüre. Summa summarum bin ich an dem Abend auf meine Kosten gekommen und freue mich, dass einige talentierte Musiker den alten Kadaver des 80er-Metal mit Stromstößen so zum Zucken bringen.

Von beiden Bands gibt es auf den jeweiligen Homepages etwas zum Anhören bzw. Herunterladen.

Geschrieben von King Kraut am 25.04.2014, 17:07 Uhr


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