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Wizo und Schmutzki im Astra, Berlin

Nachholbedarf? Ich hatte in ihrer Hochphase während der 90er verpasst, WIZO zu sehen, und das, obwohl sie damals Maßstäbe in ihrem Genre setzten. Jetzt kamen sie mit einem guten Album in alter Fitness zurück, und eroberten sich wieder einen Platz in meinen persönlichen Playlisten. Eine Situation, in der man leicht enttäuscht werden kann, schließlich bin ich selbst nicht mehr so unvoreingenommen begeisterungsfähig, und auch eine mittelalte Band hat bei einer der mittlerweile serienmäßig auftretenden Reunions einiges zu verlieren. Ich war im Vorfeld zudem etwas irritiert ob der eigenartigen Kommunikation der Band nach außen. Dazu gleich mehr. Dennoch, keine Furcht vor der Party, und an einem Montagabend trottete ich mit einem Bier in der Hand und Vorfreude im Herzen ins Astra. Das Publikum bestand wider Erwarten nicht nur aus gealterten Teenagern in ihren Dreißigern, es war auch eine Menge junger Leute da, offensichtlich wachsen Fans nach. Und eine phänomenale Frauenquote! Das war bei dieser Art von Punkrock aber ohnehin schon länger einer der Vorteile. Sollten doch die Altpunks über die Kiddies die Nase rümpfen und sich auf ihre Pimmelparties mit 100% authentischer Abkotzmusik verziehen. Jedenfalls eine sympathische Mischung von Menschen im Saal, von allem ein Bisschen etwas dabei. Im Vorraum ein brummender Verkaufsstand mit netten Verkäufern, wobei ich einzelne Sachen einfach zu teuer fand. Das hätte man besser abstufen können.
Nach überschaubarer Wartezeit wurde dann durch WIZOs Gitarrero und Bassisten die erste Band, SCHMUTZKI, angekündigt als die beste Band Stuttgarts. Wie ich später erfuhr, leitet sich diese Einschätzung aus einem gewonnenen Bandcontest her, na dann ist es ja offiziell. Im Gegensatz zu einigen eher kritischen Stimmen um mich herum fand ich das Trio ganz solide. Für WIZO eröffnen und dabei nicht völlig abkacken, das muss man erst einmal bringen. Es gab eine bunte Mischung aus verpopptem Punkrock, mal ein umgedichtetes MISFITS-Cover, mal glaubte ich TURBONEGRO-Riffs zu erkennen. Auch ein NDW-Stück war mit drin, das durch den Bassisten mit einem gesungenen Pseudo-Synthie-Hook veredelt wurde. Sehr witzig. Überhaupt, dieser Bassist warf sich in Pose, als wäre es das letzte Mal. Gut so! Man kann der Band also durchaus übersteigertes Selbstbewusstsein attestieren, und die ständigen Call-and-Response-Spielchen fand ich dann auch etwas gewagt. Aber besser Stimmung machen als gar nichts, denn die Musik selbst bot nicht genügend Substanz, um mehr als die Aufwärmübung abzugeben. Weiterer Pluspunkt übrigens der gute Sound, bei dem man die leider dämlichen Texte verstand. Minuspunkt für zu viele Aufforderungen, sich T-Shirts zu kaufen, im Internet das neue Video anzugucken etc. Wer sich für die Band interessiert, kommt schon von selbst darauf; für alle anderen ist es unnötiges Werbe-Blabla. Mein Geschmack war das nicht, aber ich würde sagen, SCHMUTZKI haben sich tapfer geschlagen. Wenn sie jetzt noch aufhörten, diese Karriere-Attitüde zu offensichtlich heraushängen zu lassen, würden sie mir noch besser gefallen.
Dann WIZO. Geil! Pathetisches Intro, Mega-Bühnendeko im Hintergrund mit Motiven aus diversen Veröffentlichungen der Band. Das erste Stück, „Raum der Zeit“, wurde vom Sänger Axel Kurth zu groovigem Beat durch ein Megaphon gerappt, eh es in das wesentlich passendere Punk-Tempo ging. Ein Ruck ging durch die Menge, alle sangen und sprangen mit und das Mädel vor mir verteilte durch begeistertes Gehüpfe mein Bier auf meiner Kleidung. Ja, mit Straight Edge wäre das nicht passiert! Schade um das schöne Bier, aber letztlich war es egal – da vorne spielte die Musik!
Und wie sie das tat. Wer seine Instrumente so dermaßen beherrscht wie WIZO, kann wirklich alles spielen, worauf er Lust hat. Besonders, was der Sänger auf seiner Gitarre allein für einen Wirbelsturm veranstaltete, würde ohne maschinelle Präzision und ein tightes Zusammenspiel nicht diese Wirkung entfalten. Und dazu noch nuanciert und fehlerfrei singen, Hut ab! Es zeigte sich: Die Stücke sind gut geschrieben, so dass sie ins Ohr gehen, clever arrangiert, so dass man auch mit nur einer Klampfe genug Druck für ein Thrash-Metal-Spektakel veranstalten kann, und diese drei Leute auf der Bühne waren Profis an ihrem Instrument. Traumhafter Sound, jedes Element der Musik hörbar und voluminös. Auch das Hüpfen zwischen verschiedenen Stilen gelang reibungslos, wodurch man gut durch ein umfangreiches Best-Of-Programm der Band geführt wurde. Den Ablauf habe ich übrigens im Getümmel notiert und versucht, später zu entziffern. Zwecklos. Champollion, bitte melden! Mir hat jedenfalls weder ein Hit gefehlt, noch sind die neuen Songs zu kurz gekommen, und mehr wäre wahrscheinlich zu viel des Guten gewesen. Auffällig war übrigens, dass die Band beim Konzert die Aufnahmen ihrer Stücke nicht wie eine Heilige Schrift behandelte, von der man keinen Ton abweichen darf, sondern umfangreiche Variationen vornahmen, die meist die Einbeziehung des Publikums, Improvisationen oder Spannungspausen bedeuteten. So macht man Musik lebendig. Ein wenig übertrieben fand ich es dann allerdings, dass gefühlt jedes dritte Stück auf diese Weise um eine Minute gestreckt wurde, was den Ablauf bremste. Und bitte, bei „Quadrat im Kreis“ am Anfang das Publikum zu einem Rockstadion-artigen „Hey! Hey!“ zu animieren, könnte als Moment schlechter kaum gewählt sein.
Ungelenke Überleitung zu dem, was mich störte: Es zeichnete sich schon vor dem Konzert ab, als von WIZO die Anfrage raus ging, ob man denn ein Interview und Konzertreview machen wolle, nur um dann hinterher das Interview auf acht Fragen per E-Mail zu beschränken. Wizo so umständlich? Bei meiner Recherche merkte ich dann, dass Axel, der als einziger Urmitglied zugleich auch kreativer Kopf und Großer Vorsitzender der Band ist, unsicher scheint, welches Bild er von sich und seiner Band nach außen vermittelt. Ständig rechtfertigt er etwas, das vielleicht jemand falsch verstanden haben könnte, denn tatsächlich sind die Texte von WIZO ja unterschiedlich ernst, witzig oder tiefsinnig. Und er wechselt zwischen seinem Image als lockerer Punk, der die Kids in ihrer Sprache anspricht (Zitat aus dem Konzert: „Das wär nice.“) und dem professionellen Musiker im mittleren Alter, der seine Band als Firma betreibt. Vielleicht ist es auch von meiner Seite her ein Bisschen etwas wie enttäuschte Liebe, aber ich hätte mir für das Konzert einfach weniger erklärende Einleitungen gewünscht. Wenn man den Sinn der Texte beim Hören der Platten nicht begreifen kann, wird sich das beim Konzert nicht bessern, und wenn Axel dann bei bei der Ansage zu „Gute Freunde“ noch einmal abschweift, um klarzustellen, dass er als aufgeklärter Mensch natürlich weiß, dass es auch in gleichgeschlechtlichen Liebesbeziehungen Trubel gibt, wenn er vor dem Song „Ganz klar gegen Nazis“ darlegt, dass er ganz klar gegen Nazis ist, dann fragt man sich, ob er das Publikum für zu dumm hält, um selbst dahinter zu kommen. Vielleicht war der Typ schon immer so, das war schließlich meine erste Live-Begegnung. Ich fand, es wirkte unentspannt. WIZO! Ihr habt einen Katalog voller genialer Songs, für die andere Bands töten würden, ihr könnt spielen wie Cherubini auf Prozac, da braucht es kein Gerede, sondern nur die Tat!
Zum Schluss gab es noch eine Zugabe mit drei Akustik-Gitarren, auch die Spezialanfertigung „Fert-Gitarre“ war ein tolles Gimmick. Rund um mich verschwitzte, besoffene Gesichter, verschmitztes Grinsen beim letzten Stück, das meines Wissens immer noch als staatsgefährdend verzeichnet ist. Innenministerium, bitte für diese Tour noch ein paar V-Leute vom Salafismus und den Neonazis abziehen, bevor es zu spät ist!
Es bleibt ein sehr schönes Konzert, von dessen Erinnerung ich schon seit einer Woche zehre. Die kleinen Schönheitsfehler können letztlich das Gesamtbild nicht trüben. Vielleicht könnten diese Musiker durch die Tour so zusammenwachsen, dass das nächste Album ein Produkt der aktuellen Band wird, statt ein De-Facto-Soloprojekt aus den bunten Songresten Kurths? Das könnte noch interessant werden.
Glückliche Fans strömten ins montägliche Friedrichshainer Nachtleben, WIZO stiegen in ihren frisierten Kadett B und fuhren in den Weltuntergang.
Geschrieben von King Kraut am 25.11.2014, 15:02 Uhr
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