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Lagwagon, The Flatliners, Western Addiction im SO36, Berlin


Ich glaube, mein kleiner Bruder hörte damals Lagwagon. Und zwar die erste Platte, „Duh“, die man sich auch weiterhin gut geben kann. Gesehen habe ich die Band vermutlich 1999 einmal, und nachdem das letzte Album „Hang“ zu den besseren gehörte, war es mal wieder Zeit für ein Update. Montag gleich nach der Arbeit aufs Konzert, nicht ideal. Es war extra noch mein alter Kindergarten-Punkrock-Freund, nennen wir ihn Ristianch, angereist, um sich gemeinsam die Helden unserer jugendlichen Melodycore-Passion zu geben. Ja, und dann hatte er leider kein Ticket dabei, also mit zu vielen Leuten vor dem Laden stehen, kaltes Bier im kalten Wind süffeln und warten, ob eine Lösung vom Himmel fällt. So etwas hätte mir gut als verpeilter Teenager passieren können, dass ich das heute noch einmal erleben darf...
Irgendwann waren nur noch wir beide und eine Gruppe griechischer Fans da, die auch zu spät von dem Event erfahren hatten. Nette Leute, wir diskutierten Musik (Punk ist cool) antike Geschichte (der Film „300“ ist historisch akkurat) und dann kam auch zum Glück die Gelegenheit, jemandem die letzte Karte für den Abend abzukaufen, hurra!

Die erste Band, WESTERN ADDICTION war bestimmt schon längst in der Schlafkoje, die FLATLINERS gaben gerade ihre letzten Töne zum besten. Keine Ahnung, was wir da verpassten, es sollen aber laut anderen Gästen gute Bands gewesen sein. Pech.
AmWarenstand mäßig interessante Shirts. Dass die Band immer noch welche nur mit dem lahmen Logo vorne drauf verkauft, ist schon seltsam. Das galt damals als die Uniform für Gymnasiasten-Punks. Diese waren scheinbar alle wieder anwesend auf dieser knackevollen Ü30-Party.

Fachsimpeleien mit Ristianch über alte und neue Lieblingsbands.Und bald ging es auch schon los mit LAGWAGON. Die wirkten aufgrund ihrer unterschiedlichen Körpergrößen schon direkt komisch: Sänger und Bassist sind klein und wirken so lustigerweise jünger als sie sind. Daneben ein XXL-Gitarrero mit einem Kopf wie aus einem Don Martin-Comic. Sympathisch. Mit bald 50 Jahren noch mit gefärbten Haaren, Shorts und Sneakers die Bühne zu entern, kann auch mal schnell in die Hose gehen. Hier fand ich es in Ordnung, es wirkte nicht würdelos, sondern einfach konsequent. Die Band, die einmal die Speerspitze des kalifornischen Skate-Punk bildete, wirkte locker und nicht aufgeblasen – Sie machten einfach so weiter, wie sie vor und nach ihrer Ruhmesstrecke (dank Punk-Revival) schon aufgetreten waren.

Zu Beginn erklärte Basser Joe Raposo, er werde heute trotz Bronchitis spielen – tapfer. Ob das aus der harten Schule bei RICH KIDS ON LSD kommt, wo er auch aktiv war? Professionalität hin oder her, das bringt wirklich nicht jeder Musiker. Als erstes Stück gab es gleich „After You My Friend“, mit dem auch das Album „Let's talk About Feelings“ beginnt. Eine gute Art, das Publikum gleich wieder mitten in den alten Sound der Band zu holen. Ein Angebot, was auch dankbar angenommen wurde, Pogo und Crowdsurfing vom ersten Takt an. Viele sangen mit, und ich merkte, dass ich die Stücke der Band, wo ich den Text kenne, an einer Hand abzählen kann. Das liegt unter anderem daran, dass sich selten Hooks und wiederkehrende Refrains darin finden – Dinge, die einem Songtext Struktur verleihen. Trotzdem kein Hindernis, mich an Klassikern wie „Violins“ zu erfreuen. Melodisch, rasant, präzise gespielt. Die Band wirkte routiniert, nicht übermäßig in Partylaune, aber trotzdem in in Ihrem Element. Was sie an ihren Instrumenten abliefern reicht ja schon allein aus, um zu überzeugen. Der Ton war gut genug gemischt, um diesem schwierigen Sound zu genügen: Punk, ohne krachig zu sein, melodisch, ohne lahmer Pop zu sein.

Im Rückblick fällt auf, dass LAGWAGON viele gute Lieder haben, aber kein Album nur mit Hits. Da ist ein Konzert natürlich eine Chance, nur die Rosinen herauszupicken. Und davon gab es reichlich. Ich glaube, es wurde so ziemlich jeder meiner Favoriten aus den Neunzigern gespielt, und sogar „Mr. Coffee“, die Hymne der Koffein-Junkies. Aber auch das neue Album wurde ausgiebig bedient. Ein Zeichen, dass man nicht in der Vergangenheit klebt, sondern selbstbewusst seine neuen Entwicklungen nach außen trägt. Rocksongs wie „Made of Broken Parts“ sind ungewöhnlich für diese Band, haben aber eine Wucht, die den leichtfüßigen Pop-Punk-Hymnen oft abgeht.
Und obwohl mir alle Arten von Musik an diesem Abend gut gefielen, erzeugte der Kontrast einen gewissen Schwermut in mir. Hier die unbeschwerte Musik aus einer anderen Zeit, als die Hot Shots von Fat Wreck Chords einfach allen davongaloppierten; da die düsteren Rock-Riffs einer Band, die schon mehrere Weggefährten überlebt hat und es nun noch einmal wissen will. Ganz so simpel ist es natürlich nie, Melancholie zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk LAGWAGONs. Aber so, wie es damals war, wird es nie wieder.

Nichtsdestotrotz! Ein gelungenes Konzert. Wie locker man sein kann bei so vielen Tempowechseln, wie viele Stücke in meinem Gehirn eine dauerhafte Prägung hinterlassen haben, das ist etwas besonderes. Wer kann schon ein „May 16“, ein „Alien8“ raushauen? Bei letzterem natürlich ein akustisches Intro, das Publikum noch eine Sekunde länger hingehalten, ehe es in den High-speed-Teil ging. Die Reihe von etwa drei akustischen Stücken von Joey Cape hätte hingegen auch nicht sein müssen, man möge mir verzeihen. Dann lieber noch mehr Punkrock. Wurde „Choke“ gespielt? Ich glaube nicht! Es war auch so mehr als genug gutes Material da, und man kann nur hoffen, dass die Band weiter spannende und vielseitige Sachen raus haut, ohne unbedingt wieder 9 (in Worten: Neun!) Jahre zwischen zwei Alben zu warten. Ich komme gern wieder, am liebsten am Wochenende (Bitte hier einen Zaunpfahl dazudenken).

Geschrieben von King Kraut am 05.04.2015, 21:08 Uhr


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