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Blood Ceremony - Lord Of Misrule
Ich weiß nicht, ob es Euch ebenso geht, aber wenn ich einen neuen exzellenten Wein oder einen guten Scotch Single Malt entdeckt habe, beginnt für mich die erste Stufe Genusses bereits mit dem Betrachten der Verpackung.
Bei Tonträgern steige ich meist ähnlich in die mehrheitlich akustische Verkostung ein, erst Recht, wenn es sich dabei um ein gutes Stück Vinyl handelt. Im Falle von BLOOD CEREMONY fand ihr neuestes Output seinen Weg zunächst nur in digitaler Form auf meinen Rechner und von da in die Anlage, sodass ich mit einer Verpackung in Form von digital verarbeiteten Bildpunkten Vorlieb nehmen musste. Aber das sollte den Genuss tatsächlich nicht sonderlich schmälern.
Was gab es zu entdecken? Es sind erst einmal die genretypischen Zutaten. Geheimnisvoll dreinschauende Künstler vor schweren dunkelroten Samtvorhängen im zwielichtigen Gemäuer, vor schmiedeeisernem Tor, aber auch gemütlich im Pub vor einem guten Bier anstelle des silbernen Kelches mit dem roten Traubengärprodukt sitzend zeigt mir, dass die Dame und die Herren sich selbst nicht auf Teufel komm raus in Klischees baden müssen.
Soviel zum äußeren Erscheinungsbild. Wenn die Analogie zum eingangs erwähnten schottischen Edeldestillat noch einmal gestattet sei, so möchte ich in Sachen BLOOD CEREMONY anmerken, dass es sich um eine waschechte Schwarzbrennerei handelt, deren Weg ich seit ihres selbstbetitelten Debuts 2008, das mich damals sehr beeindruckt hat, verfolge. Mit ‚Lord Of Misrule‘ steht uns nun bereits das vierte Opus der drei Herren aus Toronto um ihre charismatische Stimme Alia O’Brien ins Haus.
Was wird geboten? Tja da scheinen sich Dame und Herren einig zu sein – nichts ist so wie es scheint. Anstelle die klassische Doom-Keule erbarmungslos in bester Sabbath-Manier zu schwingen – was sie durchaus beherrschen – erwartete den Rezipienten ein Album von enormer musikalischer Vielfalt. Sicherlich retro-beeinflusst, aber was diese Band von anderen Szenegrößen wie z. B. THE OATH, JEX THOTH, GRAVEYARD oder BLUES PILLS herausstechen lässt, sind die vielen scheinbar mühelos eingewobenen Elemente aus Psychedelic-, Space- und Folkrock, eine breitere Vielfalt an verwendeten Instrumenten und natürlich der female Gesang mit Einsatz der Querflöte, der sehr wahrscheinlich jeden Musikjournalisten der Band den fast unausweichlichen Vergleich mit JETHRO TULL vor den Latz knallt.
Aber ‚Lord Of Misrule‘ bietet dem Hörer alles andere als lauwarme Retrobrühe für den Schlaghosen tragenden Filzhaardoomer. Es beinhaltet eine unerwartete Fülle an Melodien.
Beim Opener wähnt man sich zunächst noch in bekannten Gefilden. Der, eröffnet mit einem seichten harmlosen Intro, dann unvermittelt mit einem amtlichen Riff und der zitierten Querflöte beachtlich im Midtempo losstampft, sich dann aber mit einem wunderschönen melodiösen zweiten Teil zu einem kleinen Epos aufzubauen weiß, bevor ganz unvermittelt das Anfangsintro den Schlussrefrain einleitet und sich genauso mystisch wie es begann ausfadet, um im Niemandsland der Halbtonharmonie zu entschwinden, als wäre es nie da gewesen.
Bereits die zweite Nummer ‚Loreley‘ kommt gänzlich anders, fast poppig daher. Es hätte 1968 genauso in den Radiostationen erfolgreich laufen können, weiß aber trotz seiner Flower-Power-Leichtigkeit mit einer eindrucksvollen instrumentalen Tiefe zu beeindrucken. Höre ich da am Zwischenpart und am Ende nicht gar ein Mellotron heraus?
Stück Nummer Vier würde wohl selbst Hexenmeister Mr. Iommi himself als gelungenes Gesellenstück werten – zunächst. Denn plötzlich kippt der Song mit einem Querflötensolo in eine flotte Folk-Nummer. Wer nun vielleicht denkt, damit sei das kompositorische Pulver verschossen, wird mit der folgenden Nummer – dem Titelstück – absolut eines Besseren belehrt. Was die Leute hier in ihrem magischen Zauberkessel zusammenbrauten schießt meilenweit über ihre bisher gesetzten musikalischen Grenzmarken hinaus. Eine Nummer die vor Spielfreude förmlich aus allen Nähten platzt und jeden, mit halbwegs vorhandenem Rhythmusgefühl unvermittelt zu Zuckungen in den Extremitäten zwingt.
Track Fünf ist eine leichte Folknummer, die, eröffnet mit einem einfachen aber mitreißendem und enorm eingängigen Riff und Ohrwurm-Refrain, den Hörer sofort in seinen Bann schlägt. Glaubt man nach 3:45min den Song komplett durchschaut zu haben, dreht er noch einmal richtig auf. Die vielzitierte Querflöte gibt nach kurzem Break die neue Marschrichtung vor. Und diese heißt Grande Finale. Das Tempo wird angehoben und der Song dreht sich zum wiederholten Male um in ein respektables End-Solo.
Bei Nummer Sechs erwartet uns eine einfach nur als wundervoll zu beschreibende Ballade. Wie Nebel über einem Hochmoor schwebt die Stimme über dem 3/4-Takt einer filigranen Melodie, die einem eine Gänsehaut über den Rücken jagt. Was hier an mystischer Atmosphäre mit ganz einfachen Mitteln erzeugt wird, schiebt so manche Möchtegern Gothic-Kasper weit ins Abseits. So wird Melancholie musikalisch erzeugt und nicht anders - Basta!
Track Sieben ist ähnlich wie die zweite Nummer gestrickt. Eine flotte psychedelische Tanznummer, Äonen entfernt vom finsteren Tritonus-Geknarze, schraubt sie sich in die Gehörgänge und bleibt dort hartnäckig hängen. Bei Nummer Acht zeigt man noch einmal was man eh schon auf Vorgängeralben bewiesen hat. Eine waschechte Doom-Nummer, die Alles hat. Nackenmuskeln anregendes Midtempo, Druckvolles Riffing, röhrende Hammondorgel, Wahwah-Solo und die Stimme! Meine Herren!
Abgeschlossen wird das Album mit einer Ballade, die völlig anders als die bereits erwähnte, dennoch als deren zweiter Part anmutet. Mystischer Text, sich überlagernde Melodiebögen am Ende – schaurig schön.
Fazit:
Ich hatte einiges erwartet und viel mehr erhalten. Für mich ein Highlight seit langer Zeit – genreübergreifend! Ein Werk, dessen Grenzen abgesteckt scheinen, das aber weit darüber hinaus reicht. Ein Retro-Album, klar. Aber hier wirkt nichts aufgesetzt, nichts künstlich überhöht. Ein Opus das, der Gehörnte möge mir den Ausdruck verzeihen, einfach Spaß macht, dessen Spielfreude mitreißt und die ruhigen Momente einen tief berühren. Herausragende Nummern kann ich beim besten Willen keine ausmachen. Es gibt nicht einen Ausfall. Auch die Länge mit 44min geht völlig in Ordnung. Musik für alle, die keine Scheuklappen tragen und bereit sind, auch einen Blick über ihre Genregrenzen hinaus zu wagen. Beide Daumen hoch.
Geschrieben von Alius am 22.02.2016, 12:34 Uhr
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