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The Jeffrey Lee Pierce Sessions Project - Axels & Sockets

The Jeffrey Lee Pierce Sessions Project - Axels & Sockets

CD Glitterhouse / Indigo 02.05.2014
  8 / 10

Weitere Informationen:
http://label.glitterhouse.com/artists.php?show=12


Jeffrey Lee Pierce: Bekannt als Gründer und einziges ständiges Mitglied der Blues-Punk-Band THE GUN CLUB, leidenschaftlich, wild, und 1996 nicht mit 27, nein, aber mit 37 Jahren an den Folgen seines Rock 'n' Roll-Lebenswandels gestorben. Den Rest könnt ihr in einer der Populärmusik-Enzyklopädie nachlesen, es ist auf jeden Fall nicht uninteressant, wessen Wege und Musik sich da kreuzten und gegenseitig inspirierten.

Doch zur Musik auf AXELS & SOCKETS. Cypress Grove, ehemaliger Mitmusiker von JLP, hat ein Tape mit Songfragmenten bei sich gefunden und beschlossen, diese (nebst weniger Cover von schon veröffentlichten Stücken) mit anderen Freunden und Fans des Verstorbenen als Grundlage für Aufnahmesessions zu verwenden. Das lässt viel Spielraum für Interpretationen im mutmaßlichen Sinne des Songschreibers, und gleichzeitig kommt so gut zum Vorschein, worin jeweils die musikalische Verbindung besteht. Nun muss ich zugeben, dass ich persönlich nie besonders dem Original verfallen bin, wie es laut Linernotes andere Leute waren. Wahrscheinlich kann einen JLP im richtigen Moment mit seinem punkig überdrehten, düsteren Blues emotional richtig im Genick packen und durchschütteln, nur haben das für mich jeweils andere Bands erledigt, und ich kann nur ahnen, wie es ist, THE GUN CLUB zu hören, wenn es nichts vergleichbares weit und breit gibt. Oder wie es ein Online-Shop-Algorithmus formulieren würde, Kunden, die dieses Produkt kauften, kauften auch: NOIR DÉSIR, THE DOORS, TITO & TARANTULA, SOCIAL DISTORTION, THE CRAMPS... Jedenfalls hat aber der Knarrenklub Wellen geschlagen, die über die frühe L.A.-Punkszene hinausreichten, und entsprechend findet man auf dieser nunmehr dritten Platte der Reihe neben illustren Figuren wie Nick Cave, Iggy Pop und Debbie Harry auch (mir) völlig unbekannte Musiker der jüngeren Jahrgänge.

Entsprechend heterogen ist der Inhalt. Man versucht, sich im Rahmen dessen zu bewegen, was zur Vorlage gepasst hätte, und heraus kommt dann wegen der vielen Beteiligten ein recht vielseitiger Mix. Ich brauchte mehrere Anläufe, bis ich wirklich alle Stücke auf der Platte ausführlich würdigen konnte, weil auf fast jedem Track unterschiedliche Interpreten zu Gange sind. Das macht es auch quasi unmöglich, diese dritte Portion des JEFFREY LEE PIERCE SESSIONS PROJECT schnell zusammenzufassen. Für sich genommen ist fast jedes Stück gut, aber wo eine einzige Band teilweise verschiedene Genres problemlos auf einem Album zusammenfügen kann, sind die Übergänge hier eher wie bei einem Sampler. Wer sich trotzdem durch die 76 Minuten arbeitet, wird belohnt mit einigen sehr bluesigen oder hart rockenden Songs, die nachwirken.

Die bekannteren Musiker tun ausnahmslos das, was man von ihnen erwartet. Iggy jault wie ein geprügelter Hund (übrigens eine offensichtliche Gemeinsamkeit mit Pierce: Der „Ich kann nicht singen, aber ich zieh das jetzt mal volle Möhre durch“-Ansatz), Nick Cave macht den melancholischen Tieftöner, Thurston Moore (SONIC YOUTH) malträtiert post-avantgardistisch (Copyright auf diesen Neologismus: Moi) die Gitarre, und das war nur das erste von 18 Stücken. Debbie Harry kann mit ihrer eindringlichen Stimme wirklich nichts falsch machen, und mit BLACK MOTH kommen schon die für mich ersten Unbekannten ins Spiel, die „Just a Mexican Love“ extrem fett darbieten. Keinen Erwartungen ausgesetzt zu sein, hat in diesem Fall klare Vorteile. SLIM CESSNA'S AUTO CLUB stechen durch einen beinahe fröhlichen Bluegrass-Männerchor hervor. Bertrand Cantat, dessen Ex-Band NOIR DÉSIR mich mit ihrer unverhohlenen Verehrung von JLP damals erst auf den Mann aufmerksam machten, macht mit Mark Lanegan (SCREAMING TREES; QOTSA) wieder das, was man von ihm kennt, bedeutungsschwanger über einer schwer donnernden Kulisse intonieren. In solchen Momenten assoziiere ich mit der Musik Bilder und Geschichten. Folgerichtig wurde unter anderem zu diesem Stück auch ein Video produziert, aber Freunde von amerikanischer Roots-Musik wissen vielleicht auch so, was ich meine. Gelegentliche Garage-Rock-Songs zwischendurch brausen eher unspektakulär durch, lockern aber das Gesamtpaket auf, ehe es allzu sehr im Pathos versinkt. Ein klasse Duett zwischen Mann und Frau gibt es bei „Kitty Ina Moonlight“, gespielt von THE AMBER LIGHTS mit Xanthe Waite, wieder ein überraschender Moment, der ohne den experimentellen Ansatz der Sessions vielleicht nie zustande gekommen wäre. Vielleicht gilt das auch beim nächsten Stück, welches mich leider schon beim zweiten Hören nervte, wenn nämlich die Sängerin von RUBY THROAT mit ihrer affektierten Mädchenstimme über verbotene Liebe singt. Nicht mein Ding. Zum Glück geht es auch anders, und Andrea Schroeder zeigt bei „Kisses for my President“, welches übrigens als einziges und in recht unterschiedlichen Versionen auf der Scheibe ist, wie eine gefühlvolle Ballade geht. Nach „Body and Soul“, was verteufelt nach einer eher gelungenen Iggy Pop-Imitation klingt, kommt nochmal PRIMAL SCREAM zum Zug, mit, wer hätte es gedacht, einer dubbig verhallten Nummer. Überhaupt wird gegen Ende des Albums nochmal viel mit dem Ansatz gearbeitet, dass gehauchter Gesang mit Effekten und aus dem Hintergrund dich mehr überrumpeln kann als direkt ins Gesicht. Dadurch wird es insgesamt noch ein Bisschen anstrengender zu folgen, aber zur Belohnung gibt es „When I Get My Cadillac“, einen herrlich sehnsüchtigen Blues von Cypress Grove, und in den beiden letzten Stücken ist auch die Stimme des Meisters selbst von den gefundenen Aufnahmen zu hören. Wobei diese wieder in kantigen Soundcollagen verarbeitet wurde; also macht euch auf eine noisige akustische Begegnung mit dem Jenseits gefasst.

Was bleibt, ist eine schöne Sammlung anspruchsvoll umgesetzter Stücke, in einer ansehnlichen Verpackung: Ein liebevoll gestaltetes Digipack, ein dickes Booklet mit enthusiastischen bis kulturwissenschaftlich verschwurbelten Kommentaren. Sieht bestimmt als Doppel-LP erst recht klasse aus. Wenige Unerwartetes, dafür einige der besten Verwandten im Geiste von Jeffrey Lee Pierce in, voll ihrem Element. Diese CD wird nicht als Album für die Ewigkeit in die Geschichte eingeht, dafür ist sie zu schwer greifbar, und jeder der beteiligten hat seine persönlichen Meilensteine schon woanders gesetzt. Herausholen werde ich sie aber bestimmt immer gern wieder. Und ich bin jetzt einigermaßen neugierig, wie die anderen Teile der Sessions sind. Eine Nummer fetziger vielleicht?

Apropos: Wer sich übrigens wie ich wundert, dass Keith Morris (CIRCLE JERKS, BLACK FLAG, OFF!), der im Moment doch kaum genug vom Musizieren kriegt und damals Mitbewohner von JLP war, nicht dabei ist: Ist er doch, nur auf einer limitierten und heute unverkäuflichen Single. Schade, wäre interessant gewesen, wie der nochmal alles in Stücke schreit.

Geschrieben von King Kraut am 27.05.2014, 22:49 Uhr


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